16. - 19.03.2000, Paulden, Arizona - American life ... 
 
Donnerstag - Eine Fahrt nach Phoenix, ein Besuch bei der Bank und ein amerikanisches Problem.

Am nächsten Morgen wurden die gestrigen Geschehnisse einfach totgeschwiegen und ich machte mich planmäßig auf den Weg nach Phoenix, nachdem ich Rob bei der Arbeit abgesetzt hatte. Trotz Stau auf der Interstate schaffte ich es gegen zehn bei dem Händler einzutreffen, bei dem wir den runderneuerten Transfer Case bestellt hatten. Ich hatte den alten Transfer Case als Austausch dabei. Da an dem neuen Teil noch etwas angepaßt werden musste sollte ich drei Stunden warten. Ich fuhr in Phoenix herum, bis ich ein "Dennys" fand - Pfannekuchen und Bacon. 
Eigentlich sollte ich den neuen Transfer Case schon gegen Mittag in der Werkstatt abgeliefert haben, aber da es zu den verzögerungen gekommen war holte ich auf dem Rückweg erst Rob ab und fuhr dann mit ihm gemeinsam zur Werkstatt, wo wir stolz das blitzblanke runderneuerte Teil übergaben. 
Danach wurde es teuer. Es war klar, dass ich mich an den Reparaturkosten beteiligen würde - schließlich war ich die 5000 Meilen ohne Öl gefahren. Aber um Robs Scheck zu decken, mit dem ich den Transfer Case in Phoenix bezahlt hatte, war leider etwas mehr notwendig als nur die Kosten für das neue Teil. Ich hoffte nur, dass sich der Mehranteil nicht in Budweiser verflüssigte.
Die "Stockman Bank" in Amerika ist aber wenigstens durchaus sehenswert. Nachdem ich den Angestellten versichert hatte, dass ich keine Tresortüren oder ähnliches fotografieren würde, bekam ich sogar die Erlaubnis, ein paar Bilder zu machen. 

In Amerika geht Kundenservice vor Sicherheit, weswegen es keine Panzerglasscheiben im Schalterraum gibt. Und die Stockman Bank gibt sich zudem noch die Mühe, mit rustikalen Bauten im Saloon-Stil ein gemütliches Ambiente zu schaffen.
In der Nachbarschaft besorgten wir uns eine Pizza und verbrachten einen gemütlichen Abend, nur unterbrochen von diversen "Ich bin mal eben weg"-Aufbrüchen von Rob ("Bin mal eben weg" hieß "Fahre die fünf Meilen zur Texaco um mir ein Sixpack zu besorgen"). Er trank soviel, dass ich inzwischen keine Bierdose mehr anfasste. Mir wurde schon vom Zusehen schlecht. Wir wussten beide, dass er ein Alkohol-Problem hatte, aber da ich ihn nicht stoppen konnte unterließ ich jede Bemerkung darüber, die ihn vielleicht nur dazu veranlaßt hätte, heimlich mehr zu trinken. Also tat ich so, als würde ich gar nicht sehen, wenn er sich statt des Sixpacks ("Ich muss meinen Bierkonsum mal etwas herunterschrauben, sechs Dosen sind genug") einen 18er-Karton holte. 
Trotzdem zählte ich im stillen die leeren Bierdosen mit und grübelte, wie einem Trinker zu helfen sei. Auf der Lake Ranch hatte ich es ähnlich gesehen, wenn auch mit weniger merklichen Folgen im Charakter der Saufbolde mit zunehmendem Alkoholkonsum. Alkohol schien ein echtes Problem bei der Landbevölkerung zu sein.


Freitag - die Rückkehr des Trucks, ein Pferdekauf und ein Ausritt.

Eigentlich hatte ich vorgehabt, mich an diesem Vormittag weiter nach einem Wagen umzusehen, aber offensichtlich hatte ich schon alle in Frage kommenden Händler in Prescott abgeklappert, und während ich gerade durch eine ungewöhnlich schöne Wohngegend fuhr (offensichtlich das Villenviertel) bekam ich einen Anruf von Rob, der schon früh Feierabend machen wollte, da der Truck fertig sei. Wir holten also noch Mittags das gute Stück ab und brachten den Pontiac zurück zur Autovermietung. Dort gab ich die Papiere ab und stellte erleichtert fest, dass der Hertz-Angestellte noch nicht einmal den Wagen besichtigte, Diskussionen wegen der zerkratzten Stoßstange lieben mir also erpart (ich hatte sowieso eine Vollkaskoversicherung ohne Selbstbeteilgung, aber mir wäre schon der Formalismus ein Greuel gewesen).
Spätestens bei der Begleichung der Reparaturrechnung für den Truck wurde ganz offensichtlich klar: Rob würde unmöglich in der Lage sein, mir das Geld für den Truck zurückzuzahlen, dass ich ihm im Januar gegeben hatte.
Also plante er, Montana bei der nächsten Auktion zu verkaufen. Ich sah mir den ausgesprochen hübschen Quarter-Mix-Wallach an und verglich ihn mit den Pferden, die ich auf der Auktion gesehen hatte. Pferde, die nicht geritten vorgeführt wurden, gingen an einen mitleidigen Käufer - oder an den Schlachter. Montana konnte nicht unterm Sattel vorgeführt werden, er war zwar bedingt reitbar, aber stur und neigte dazu zu versuchen, den Reiter abzubuckeln. Er würde für Fleisch auf der Auktion verkauft werden.
"Tausend Dollar", bot ich. Was sollte es - mein Geld sah ich eh nicht und nu rettete ich wenigstens ein Pferd. Und da ich schon seit einer Woche davon träumte, schöne Ausritte in Paulden mit Montana zu machen, fuhren wir auch gleich noch mal nach Prescott, um seinen Sattel aus der Pfandleihe auszulösen. Pfandleihen waren Robs zweite Heimat.
Der abendliche Ausritt war dann das ganze Geld, das ich investiert hatte, leider doch nicht wert. Ich saß auf einem Nervenbündel, das bei jedem Zweig scheute, in der Nähe von anderen Pferden so aufgeregt wurde, dass es permanent versuchte, mich abzubuckeln, und in Gegenwart von bellenden Hunden völlig ausrastete. Ich war also recht froh, ihn und mich lebend an Rob's Haus abzuliefern - dieses Pferd hatte wirklich eine Menge Training nötig.


Samstag - Ein Ausritt, zwei Stürze und zu viel Spass ... :-}

Am Samstag konnten wir endlich mal Ausschlafen, trotzdem war ich schon kurz nach sieben wach, weil mein Zimmerfenster keine Vorhänge hatte. Während Rob nach Paulden reinfuhr, um einen Ölwechsel am Truck machen zu lassen, gammelte ich herum. Ich erwartete eigentlich, dass er mit einem 24er Karton Budweiser zurückkommen würde, von dem schon sechs Dosen fehlen würden, aber erfreulicherweise schien er heute seinen antialkoholischen Tag zu planen, er trank brav Limonade.
Wir überlegten, wie wir Montana am besten trainieren könnten. Rob bestand darauf, dass er sich müde rennen müsste, damit er seine Übersensibiltät ablegte. Also sattelten wir den Wallach, und unter den Anweisungen von Rob ritt ich los. Er wollte, dass ich vom Haus an einfach losgaloppierte, vor dem Haus lag eine riesige Weide. Ich widersprach - mit einem übernervösen Pferd einfach loszurasen machte mir Angst, ich befürchtete, er würde losbuckeln und mich abwerfen. Aber Rob rief mir so nachdrücklich zu "Renn los!", dass ich Montana schließlich die Zügel gab und angaloppierte. Montana raste los, brach nach rechts aus, bremste ab und fing wie ein Irrer an zu buckeln. Mit Mühe und Not hielt ich mich oben, verlor aber meinen Hut und meine Brille, darum stieg ich fluchend ab und sammelte die Sachen auf. Ich hatte doch gewußt, dass es so nicht klappen würde! Ich ritt also im Schritt weiter, während Rob nicht aufhörte, vom Haus aus zu brüllen "Galoppier an!"
Schließlich war ich es leid, ich ritt zum Haus zurück, um ihm zu sagen, dass er sein Pferd gefälligst selber reiten könnte, wenn er so viel besser wußte, wie es zu händeln sei, aber er hatte sich im Haus verkrümelt, als ich zurückkam, also ritt ich wieder los. Und wollte es nun doch irgendwie selbst wissen, also galoppierte ich noch mal an. Das gleiche Spiel wie beim ersten Mal: nach rechts ausbrechen, buckeln. Nur dass ich diesmal meinen Hut erst verlor, als ich auf dem Boden lag. Montana zog mir den Zügel durch die linke Hand, den ich verzweifelt festhielt, damit er mir wenigstens nicht davon lief. Die ganze Handinnenfläche wurde dabei verbrannt, mein kleiner Finger angebrochen oder verstaucht. Zum Glück blieb Montana stehen, nachdem er ein paar Schritte zurückgesprungen war. Nachdem ich mich wieder halbwegs sortiert hatte, stieg ich also wieder auf. Ab jetzt würde ich Schritt gehen!
Fünf Minuten später sah ich Rob mit dem Truck hinter uns herfahren. Der Schock nach dem Sturz lag mir immer noch in den Knochen, darum schnautze ich ihn, als er mit Montana abnehmen wollte, an: "Du könntest mich wenigstens mal fragen, ob ich mir was getan habe!", aber er hatte den Sturz offensichtlich gar nicht gesehen.
Er setzte sich selbst auf den Wallach und galoppierte los. Erstaunt sah ich das Paar davonrasen - kein buckeln!
Nach dreissig Metern dann die Wiederholung - Rechtskurve, buckeln, und Rob flog in hohem Bogen aus dem Sattel. 
Da er keine Anstalten machte, aufzustehen, sprang ich in den Truck und fuhr hinterher. Montana kam auf mich zugetrabt, ich erwischte ihm am Zügel und suchte nach Rob, den ich im Gras nicht mehr sah. Als ich ihn endlich fand lag er zusammengekrümt da. Ich sprach ihn an, er reagierte zum Glück, wollte aber nicht angefasst werden. Da ich dieses Gefühl nur zu gut kannte, versprach ich ihm, ihn nicht zu berühren, bat ihn aber, sein Bein zu bewegen, es schien etwas merkwürdig auszusehen. Zum Glück war es doch nicht gebrochen, also ließ ich ihm einige Minuten, um wieder klar zu werden und bis die Schmerzen nachließen. Schließlich stand er auf und hielt sich den Bauch, irgendwas im Unterleib schmerzte ihn. Offensichtlch nicht genug, er brachte es immerhin noch fertig, wutschnaubend auf das Pferd loszugehen. Ich versuchte ihm klar zu machen, dass Montana nur ein Pferd sei - viel zu dumm, um jetzt noch zu wissen, wofür er bestraft werden sollte. Schließlich brüllte ich ihn an, die Finger von dem Pferd zu lassen. Als er endlich vor mir kapitulierte und zurück zum Truck humpelte, wendete ich mich dem Wallach zu. Es nutzte nichts - er hatte es zweimal geschafft, uns abzubuckeln; wenn ich ihn jetzt nicht noch ein Stündchen ritt, würde er es immer wieder machen. Also führte ich ihn erst mal ein paar Meter herum, bis ich mich selbst soweit in Griff hatte, wieder aufsteigen zu können. Die folgende Stunde, die ich im Schritt mit ihm über das Feld ritt, war wirklich keine Freude. Ich hatte Angst und versuchte sie zu verbergen, und Montana war natürlich übernervös und hibbelig. Als ich nach einer Stunde zurück zum Haus ritt stieg ich etwa fünfzig Meter vor dem Zaun ab - ich war selbst so verängstigt, dass ich mir sicher war, Montana auf die letzten Meter noch damit anzustecken.
Vor dem Haus wartete Rob auf uns. Er hielt sich den Unterleib und sagte, wir müssten sofort zum Krankenhaus fahren, er habe unheimliche Schmerzen. In windeseile sattelte ich Montana ab, aber als ich Rob in den Wagen laden wollte, war er verschwunden. Er saß im Wohnzimmer, trank Limo und sagte, wir müssten nach Prescott fahren, um seine Pistole im Pfandleihhaus zu holen - er wolle das Pferd erschießen. Von Krankenhaus war keine Rede mehr, nur noch davon, dass dieses Pferd niemanden mehr abwerfen würde - er müsse es erschießen. Ich starrte ihn verblüfft an - hatte er doch getrunken? Nein, hatte er nicht. Was sollte das dann? Er hörte nicht mehr auf davon, ich sagte, wenn er das Pferd umbringen wolle, solle er es am Montag zum Abdecker bringen. Nein, er wollte es unbedingt erschießen. Letztendlich war ich es leid mit ihm zu diskutieren, ich erklärte ihm, wenn im Garten ein totes Pferd liegen würde, würde ich das Haus auf der Stelle verlassen. Half nichts. Er sprach wirr, langsam fragte ich mich, ob er vielleicht auf den Kopf gefallen war. 
Als er dann ins Schlafzimmer ging und dort auf dem Bett einschlief, war ich erst mal erleichtert. Nach einer knappen Stunde wachte er auf und kam wieder heraus, er musste ja noch das Pferd erschiessen. Statt in Prescott die Pistole aus dem Pfandleihaus zu holen, fand ich es doch mal an der Zeit, mit ihm ins Krankenhaus zu fahren, er wurde immer wunderlicher. Also brachen wir schließlich nach Prescott auf, auf der Fahrt schlief mir Rob wieder ein. Zum Glück erinnerte ich mich daran, wo ich ein großes Hospital gesehen hatte. Dort ging ich zur Notaufnahme und erzählte dem Arzt, dass ich jemanden im Wagen hätte, der offensichtlich innere Verletzungen in der Bauchgegend hätte und ausserdem wirr sprach. Ich wurde gefragt, ob er Medikamente oder Alkohol zu sich genommen hätte, was ich vehement verneinte. Schließlich versammelte sich ein ganzes Team von Ärzten und Pflegern vor dem Truck, um den schlafenden Rob zu wecken und auf eine fahrbare Trage zu verfrachten. Als Rob endlich aufwachte fragte er mich, wo er wäre.
"Am Krankenhaus", erklärte ich.
Er fing an zu fluchen: "Wie konntest Du das tun? Ich bin nicht versichert, ich kann mir kein Krankenhaus leisten!"
"Aber Du wusstest doch, dass wir hierherfahren!"
"Ich kann mir das nicht leisten! Laß uns wieder fahren!" rief er. 
"Ich kann es bezahlen", widersprach ich.
Nun begannen auch die Ärzte, auf ihn einzureden: "Erst mal kostet es nichts. Laß und wenigstens mal sehen, was Du hast."
"Nein! Ich will nicht, ich kann es mir nicht leisten!"
"Hast Du was getrunken?" fragten die Ärzte.
Mir blieb bei seiner Antwort fast der Mund offen stehen: "Ja."
"Was hast Du getrunken, Rob?" fragte ich.
"Jack Daniels."
Heimlich. Er hatte sich eine Flasche Whisky gekauft und den ganzen Tag heimlich gesoffen. Nun verstand ich einiges. Warum hatte er das bloß gemacht? Ich hatte doch nie was zu seiner Trinkerei gesagt.
Mir blieb nichts anderes übrig, als ihn wieder einzupacken, ich konnte den Ärzten kaum zumuten, einen stinkbesoffenen Patienten aufzunehmen.
Auf dem Rückweg nach Paulden konnte ich mir dann anhören, was ich bescheuert sei, ihn ins Krankenhaus zu bringen. Mir war es egal, wenigstens hatte er die Pistole vergessen. 
Zuhause fing er an, nach einem Messer zu suchen - statt der Pistole. Gnädigerweise schlief er ab er bald wieder ein, ich suchte in der Zeit nach der Flasche Whisky, konnte sie aber nirgends finden.
Um acht Uhr Abends erschien er wieder im Wohnzimmer.
"Good morning!" wünschte er gut gelaunt.
"Wir haben Abend, nicht Morgen."
"Du lügst. Wo ist der Kaffee?"
"Es ist Abend."
"Stimmt nicht. Gibt es Kaffee? Und wo ist das Messer?"
Es fing schon wieder an, also kochte ich ihm einen koffeinfreien Kaffee und überlegte fieberhaft, wie ich ihn ruhig stellen konnte, bevor er ein Messer fand. Mir fielen die Schlaftabletten ein, die ich mitgenommen hatte, um zu versuchen, mit deren Hilfe bei dem Langstreckenflug zu schlafen. Ich kam mir vor wie in einer billigen Seifenoper, als ich ihm in der Küche zwei Tabletten in den Kaffee bröselte. Aber ich wußte einfach nicht mehr, was ich machen sollte, während Rob von einem toten Pferd redete, das er im Garten verbuddeln würde. Wenn es hart auf hart kam konnte ich ihn nicht mit Gewalt zurückhalten, dazu fehlte mir einfach die notwendige Muskelkraft. Er trank die Hälfte von seinem Kaffee und ging dann wieder ins Bett. Ich machte mir ein Bett auf der Couch im Wohnzimmer, um notfalls mitzubekommen, wenn er wieder aufwachte und nach einem Messer suchte. Er stand noch zweimal auf, dann war endlich Ruhe.
Netter Samstag ...


Sonntag.

Am Morgen ging es Rob dreckig. Verdientermaßen, wie ich mir nicht verkneifen konnte, zu bemerken. 
Ich fütterte Montana, obwohl Rob es mir verboten hatte, und stolperte dabei fast über eine Kröte, die sich vor dem Haus sonnte.
Gegen halb zehn war Rob wieder reif für eine Spazierfahrt. Er sei mal eben weg, meinte er zu mir.
"Okay. But do me a favour", bat ich ihn.
"What?"
"Budweiser light."
"Okay."
Während Rob den Tag damit verbrachte, Budweiser light zu saufen, zu schlafen und mehrfach zur Texaco für Nachschub zu fahren, gammelte ich herum, wusch den Truck und reparierte den Zaun, der um das Grundstück lief. Langweilig, aber immer noch besser als der vorherige Tag ...

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