26.06.2000, Lake Ranch - Drei Tage Ranchleben
 
26. - Montag: ein verstauchtes Steißbein und Horse training

Endlich spielte das Wetter wieder mit - strahlender Sonnenschein!
Ausser Sylvia brachen wir alle in Richtung North Fields auf, um neun Stiere zu holen, die im vergangenem Jahr verschwunden und nun wieder aufgetaucht waren. Es war eine einfach Aufgabe, die Viecher rüber ins Winterpasture zu bringen. Dort trieben wir sie noch bis zur Wasserstelle, damit sie nicht wieder ausbüxten. Ich ritt den Paint, einen Fuchsschecken, den Luca in letzter Zeit weiter ausgebildet hatte. Er kam, wie "mein" Indian Black, aus einem Indianerreservat, war erst drei Jahre alt und konnte noch nicht viel. Auch jetzt mochte er es nicht, sich von der Gruppe zu entfernen. Auf dem Rückweg zur Ranch trabte ich darum mit ihm von den anderen weg, was ihn so sehr ärgerte, dass er nicht mehr darauf achtete, wo er hintrat - sehr ungewöhnlich für die hiesigen Pferde, die sonst immer ein Auge auf ihren Weg hatten. 
Wenn auf den Weiden Rindern starben, wurden sie manchmal einfach liegen gelassen, die Kojoten sorgten dafür, dass nach einigen Wochen wenig mehr als ein paar Knochen und etwas Fell übrig blieb. Auf dem Winterpasture kannte ich die Stellen, an denen solche Überreste noch zu finden waren, und als ich, gewohnt in Deutschland für mein Pferd nach "Hindernissen" Ausschau zu halten, etwas schwarzes entdeckte, war mir ziemlich schnell klar: totes Kalb. Mein Paint stellte das auch fest, aber leider erst, als er schon mitten drin stand. Erschrocken sprang er mit allen Vieren gleichzeitig in die Luft! Ungeschickt landete ich aus dem Höhenflug wieder im Sattel, der Paint drehte sich verschreckt springend um, was mit den Rest gab und mich aus dem Sattel katapultierte. Instinktiv hielt ich einen Zügel fest, der mir durch die Hand gezogen wurde und sie verbrannte. Meine Landung war unsanft voll aufs Steißbein. Ich bleibe bewegungslos liegen, bis der Schmerz nachließ und stand dann auf um nach meinem Pferd zu suchen.
Die anderen waren zum Glück nicht sehr weit weg, aber anstatt mich zu retten versuchten sie nur, den Paint einzufangen, bis ich ihnen zubrüllte, sie sollten sich gefälligst um mich kümmern. Endlich kamen sie mit dem Paint in Schlepptau auf mich zu und lachten mich aus.
Mitleidheischend stieg ich stöhnend wieder auf, aber statt mich zu bemitleiden entbrannte ein Streit zwischen den Jungs, wer von ihnen mir das Steißbein einreiben dürfte ...
An dem verstauchten Steißbein hatte ich noch fast drei Wochen lang mein Späßchen - ich bekämpfte es zwar mit kräftigen Dosen Aspirin, aber bei bestimmten Bewegungen half einfach nichts mehr. In der ersten Woche machte ich Balanceakte wie der sterbende Schwan, wenn ich etwas vom Boden aufheben musste - Bücken war einfach nicht möglich.

Das Leben ging weiter - zum Mittagessen tischte ich Chili-Tortiellas und überbackenen Broccoli auf, dann holte ich mir Indian Black, um mit ihm ein wenig im Round Pen zu arbeiten.
Mehr als drei, vier Runden im Schritt hielt ich nicht aus - mein Allerwertester vertrug die Belastung nicht. Sylvia, die immer noch an Heimweh litt und sich darum sehr von uns zurück zog, sah mir zu. Ich forderte sie dazu auf, mir zu helfen, und zeigte ihr, was sie machen sollte. Indian Black sollte ihr auf der Weide vor der Lodge hinterherlaufen, ohne dass sie ihn dafür am Führstrick ziehen musste. Wenn er ihr nicht folgte, sollte sie sich zu ihm umdrehen und sehr bestimmt auf ihn zugehen, bis er zurückwich - und ihn dann wieder auffordern, ihr zu folgen. Das klappte hervorragend, und es war schön zu sehen, dass Sylvia endlich an etwas Spass hatte. Als Luca sich den Paint holte und mit Hilfe zweier langer Leinen "fuhr", bat ich ihn, Sylvia dabei auch mitmachen zu lassen. Sie blühte regelrecht auf!

Nach einem abendlichen Barbecue kippte ich mir ein paar Whisky Cola runter, was die schwache Wirkung von Aspirin nachhaltig unterstützte. So klappte es zumindest, zur laut dröhnenden Musikbox ein paar Schritte zu wagen. Und unter den wachsamen Augen von Barbara einen Two Step mit Roberto ...

27. - Dienstag: Hulett und unerwartete Gäste

Die Sonne hatte sich wieder zugunsten von Regen verkrümelt, aber weil ich schon früh jemanden im Haus herumschleichen hörte, war ich auch früh auf den Beinen. Ausgerechnet Franco und Fiorenzia waren die Frühaufsteher - dabei hatten wir sie am Vortag noch mit Kojotengeheul, dass wir vor der Tür zu ihrem separat stehenden Cabin angestimmt hatten, aus dem Bett holen müssen.
Im Ranchhaus rief ich meine Mails ab, Meine Schwester hatte mich mit einem italienischem Mail beglückt, aber Luca und Angelo schliefen noch, so musste die Übersetzung warten.

Vormittags fuhren wir gemeinsam nach Hulett zum Espresso trinken und einkaufen. Danach gingen wir noch eine Pizza essen, bevor wir zur Ranch zurückkehrten.
Luca fuhr mit Angelo, Marco, Franco und Fiorenzia nach Oshoto zum Quarter Horse-Züchter Berger, ich verzichtete lieber auf die lange Fahrt und bereitete das Abendessen vor.
Das Telefon klingelte: jemand vom Fort war dran und teilte mir mit, dass dort ein Pärchen wäre, das gerne zur Lake Ranch kommen würde, aber alle Tore bei uns seien verschlossen. Das stimmte, da die Rinder begonnen hatten, über die Cattle Guards zu springen, waren sie mit Stacheldraht verschlossen worden. Man musste um sie herum fahren und dafür die Zäune öffnen. Ich versprach, das Pärchen an dem verschlossenen Zaun abzuholen, plante mit Roberto rasch ein Zimmer und fuhr dann mit meinem Pickup los. Überraschungsgäste waren zwar eigentlich nicht so beliebt, aber zumindest würden es keine Italiener sein, freute ich mich!
Ich wartete im strahlenden Sonnenschein zehn Minuten, bis ich den Wagen der beiden auftauchen sah. Sie stiegen am Zaun aus und begrüßten mich auf Englisch. Der Mann sah griechisch aus, Amerikaner waren sie auf jeden Fall nicht. Als sie mir sagten "We are from Italy" konnte ich mir einen erstaunten Ausruf nicht verkneifen und erklärte den beiden dann mein etwas unhöfliches Benehmen lachend.
Sie hatten in einer italienischen Zeitschrift von der Ranch gelesen und wollten auf ihrer Reise durch die Staaten nur ein paar Tage bleiben.

Als Luca mit den anderen von Berger zurück kam, war seine Freude über die unerwarteten Gäste nicht besonders groß - er hatte sich auf ein paar laue Tage eingestellt, und nun hatten wir schon acht Gäste. Entsprechend tischte ich abends einen großen Pott überbackene Pasta al forno (nach Mutterns Rezept, wie ich es aus meinen Tagen als in-der-Küche-neugierig-herumstehendes-Kind noch halbwegs im Kopf hatte) für die inzwischen elf Köpfe zählende Mannschaft auf.

28. - Mittwoch: Marians Pasture

Am frühen Morgen reisten Angelo und Marco ab, Luca brachte sie zum Flughafen und Franco und Fiorenzia fuhren mit nach Rapid City, sie wollten auch den Mount Rushmore besichtigen.

Ich nahm Roberto, Barbara, Sylvia und das neue italienische Pärchen mit zu einem Ritt zu den South Fields, wo wir ein Gate öffnen mussten. Von dort ritten wir zu unserer Nachbarin Marian, bei der sich mal wieder einige unserer Stiere unter ihre Kühe gemischt hatten. Ich ritt wieder den Paint, bei dem der Tritt auf das tote Kalb offensichtlich ein Trauma hinterlassen hatte. Wenn irgendwo aus tiefen Gras ein Holzstückchen ragte, hüpfte er jedesmal verschreckt herum.
Auf Marians Weide schrie ich mir fast die Seele aus dem Leib (was der Paint mit entsetztem Buckeln quittierte), bis meine City-Slicker-Mannschaft es endlich geschafft hatte, drei Stiere in Richtung Lake Ranch zu bringen. Soll noch mal einer sagen, Cowboy zu sein sei ein leichter Job - es war schwieriger, die kreuz und quer herumreitenden Gäste zusammen zu halten, als drei Rinder ...
Einen arg humpelnden Stier ließen wir zurück, die anderen brachten wir stolz zur Lake Ranch.

Nach dem Hot-Dog- und Nudelsalat-Lunch schlief die Italien-Bande wieder ein, während ich das Haus hütete. Ein Anruf kam. Marian, die Nachbarin ... oh oh.
Fünf unserer Stiere wären auf ihrer Weide, behauptete sie. Ich sagte, das könne ich mir kaum vorstellen, am Vormittag hätten einige unserer Leute nämlich drei Rinder zurück geholt.
Was für Deppen dass denn gewesen wären, die soviel übersahen, fragte sie.
Ich gab darauf keine Antwort und versprach ihr nur, Bescheid zu geben, dass auch die übrigen Stiere noch geholt würden. Sie quatschte mich bestimmt noch zehn Minuten voll, bis ich sie endlich abwürgen konnte. 
Als Luca nachmittags mit Franco und Fiorenzia zurück kam, hetzte ich ihn mit den anderen Gästen auf Marians Pasture - mir fehlten die Nerven und die Stimme für ein weiteres Rindertreiben, statt dessen sattelte ich mir Indian Black. Wir arbeiteten ein wenig im Round Pen und trauten uns auch für ein paar Schritte raus auf die Weide, aber mir hing noch der Sturz vom Paint in den Knochen, weswegen ich mit Indy zurück in den Round Pen ging, als er auf der Wiese begann, nervös herum zu tippeln.

Bis die anderen von Marians Weide zurückkamen, würde es noch ein Weilchen dauern. In der Küche betrachtete ich skeptisch die acht riesigen Hähnchenviertel, die ich in der Tiefkühltruhe gefunden und aufgetaut hatte. Ich glaube, das war das erste mal in meinem Leben, dass ich so was roh vor mir liegen sah; und ich fragte mich, ob ich mit dem Zeug meine sowieso nicht vorhandenen Kochkünste nicht stark überforderte. Ich versuchte meine Mutter in Deutschland anzurufen, um sie um Rat zu bitten, aber leider erreichte ich sie nicht. Schliesslich beschloss ich, die Teile einfach auf ein gefettetes Backblech zu legen, mit gewürztem Öl einzureiben und in den Ofen zu schieben.
Dann untersuchte ich die Küche nach möglichen Beilagen. Mir fiel eine Dose Hühner-Creme-Suppe in die Hände. Ich liess meine Phantasie spielen und kochte dann Reis in der Suppe, würzte kräftig nach und hatte eine wunderbare Reismatsche. Als Gemüsebeilage schmorte (nennt man das so?) ich ein paar Paprika, dann wartete ich ab, was aus den armen Hühnchen wurde.

Die Cowboys kamen halb verrichteter Dinge zurück - zwei Stiere hätten sie noch gefunden, berichteten sie.
Hungrig warteten sie auf das Abendessen, das in der Küche vor sich hinbrutzelte. Schließlich wagte ich es, die Hühnchendinger an den Tisch zu tragen - eigentlich sahen sie recht appetitlich aus. Dann brachte ich die Reismatsche herein.
"Risotto?" fragte Franco.
Da ich keine Ahnung hatte, was Risotto war, inzwischen aber gelernt hatte, dass Italiener nur aßen, was sie kannten, nickte ich zustimmend mit dem Kopf. 
Es wurde alles aufgegessen - wenn die gewusst hätten, dass sie alle meine Versuchskaninchen waren ...

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Last Update: 01/2001 
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