Der Kaktus ruft
Bericht über einen Urlaub auf einer Working Cattle Ranch in Arizona
Oktober 1999

Im Sommer 1999 war ich auf einer Ranch in Wyoming - für mich war das die Entdeckung eines "Way of life" - unbeschreiblich schön. Und unbedingt ein Erlebnis, das ich wiederholen wollte. So bald wie möglich. Und weil Wyoming im Herbst schon Schnee bietet, ging es diesmal in den Süden: Arizona

Vorbereitungen

Nach meinem Traumurlaub in Wyoming war es gar nicht so einfach, eine andere Ranch zu finden, die mir das bieten könnte, wonach mir der Sinn stand: Beschäftigung rund ums Pferd und Ranchleben von Sonneaufgang bis -untergang. Nach Relaxen im Liegestuhl war mir nicht - ich wollte Action pur! 
Schließlich einigte ich mich mit meiner leidgeprüften Reiseagentur auf die Mule Shoe Ranch in Arizona. Dort sollte im Oktober ein Round up stattfinden, zu dem ich täglich bis zu zwölf Stunden im Sattel sitzen müsste, Übernachtungen in den Bergen - raues Leben ...
Die unkomfortablen Übernachtungen nahm ich in Kauf - zumindest war Beschäftigung garantiert. Ich würde der erste Gast sein, der den Round up mitmacht - sozusagen ein Test-Gast ...
Eine Woche vor Anreise: Brauchte ich eigentlich einen Schlafsack? Ich rief meine Reiseagentur an, die wiederum bei der Ranch. 
Nein. Kein Schlafsack. Alldieweil: Nix mit Übernachtungen im Freien. Kein großer Round up. Aber ich würde mich garantiert trotzdem nicht langweilen, weil auf der Ranch jeden Tag Rinderarbeit sei.
Ich war erst mal ziemlich sauer - aber habe dann mal darauf gehofft, dass zumindest die neue Zusicherung stimmte.
Arizona - ich komme!

Anreise

Diesmal hatte ich einen Flug weniger als nach Wyoming, dafür allerdings eine längere Busfahrt in Arizona. Der sah ich aber mit Spannung entgegen, sie würde gegen 14.00 Uhr starten - eine Gelegenheit, etwas vom Land zu sehen.
Um 6.40 Uhr ging es los. Köln - Frankfurt. Und sogar pünktlich!
Frankfurt - Chicago. Unpünktlich. Mein Anschlussflug nach Phoenix war ohne mich gestartet. 
Nach vier Stunden Langeweile in Chicago dann endlich der Flug nach Phoenix. 
Heiß! Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es so heiß sein würde! Bei 35° Celsius (abends!) schwitzte ich mir am Flughafen einen ab, denn dort fehlte mir nun natürlich mein Bus ... nach stundenlangem hin und her und Missverständnissen bei der Buchung und Telefongesprächen mit der Ranch war ich endlich unterwegs nach Prescott, wo mich ein Rancharbeiter abholen sollte. Natürlich war es inzwischen dunkel - also nichts mit Aussicht genießen ...
Muli ...Jim, der mich in Prescott abholte, erzählte mir auf der Fahrt zur Ranch, wie die Mule Shoe Ranch an ihren Namen gekommen war. 
In Zeiten der Besiedelung dieses Landes nutzten die Einwanderer Mulis als Zug- und Packpferde. Normalerweise kamen diese Tiere wegen ihre steinharten Hufe ohne Eisen aus, aber der Boden hier forderte Tribut - selbst die Mulis mussten beschlagen werden. Trotzdem machten die rau-hen Wege den Tieren zu schaffen, immer wieder verloren sie ihre Eisen auf dem Trail. Und so fand man immer wieder verlorene "Muli-Eisen" - was der Straße und somit auch der Ranch den Namen gab: Mule Shoe Ranch.
Es war stockduster draußen, der Schotterweg zwar holperig, aber was diese Geschichte über meine folgenden zwei Wochen aussagte - das war mir zu dem Zeitpunkt noch nicht klar. Ich stellte mir Wyoming vor - nur etwas trockener ... dummer Touri ...
Auf der Ranch kam ich um 24.00 Uhr an - Ortszeit. In Deutschland war es jetzt 9 Uhr morgens. Ich war fast dreißig Stunden unterwegs gewesen, ohne Schlaf. Aber dafür war ich in Amerika!
Ich bekam ein Zimmer im Ranchhaus, besser eingerichtet als das auf der Ranch in Wyoming, sauberer und schön groß. Eigentlich hatte ich ja das billigere "Bunkhaus" gebucht - eine Art Mehrbettzimmer, das man sich gegebenenfalls mit anderen Gästen teilen muss. Weil ich doch bei der Buchung noch davon ausgegangen war, dass ich eh im Freien übernachten würde. Ich sagte aber lieber nichts - Ranchhaus zum Preis von Bunkhaus war nichts, worüber man sich beschweren sollte ...

Who is Who on Mule Shoe Ranch

Stephen, 
der Headwrangler
Ihm gehörten die Rinder, er hatte die Ranch von den Besitzern gepachtet. Dafür, dass er Gäste mit nahm, bekam er eine günstigere Pacht.
Judy + Bruce, 
die Ranchbesitzer
Sie lebten nicht auf der Ranch, sondern in Kalifornien. Die Ranch war nur ein Hobby, wenn sie mal da waren wohnten sie in einem Haus etwas dreihundert Meter von der Ranch entfernt.
Jackie + Jim, 
die "Gastbetreuer"
Jackie ist Judys Schwester - eine fette, blonde Amerikanerin, die für die Gäste zuständig war. Ihr schmächtiger Mann half ihr dabei.
Ivon, Stephens Sohn  Er war nur an den ersten beiden Tagen da, ein netter Kerl, der seinem Vater wann immer möglich bei der Rancharbeit half, aber einen anderen Job hatte, bei dem er mehr Geld verdienen konnte als auf einer Ranch
John, der "Gastwrangler" Er war erst seit vier Wochen auf der Ranch und wurde eingestellt, um die Gastpferde zu beschlagen und Ausritte mit den Gästen zu machen.
Er konnte beides nicht.
Rob, auch "Gastwrangler" Ebenfalls erst seit vier Wochen auf der Ranch, zuständig für die Pferde und Gäste.
Er hatte Spaß an seiner Arbeit mit den Gästen - und die Gäste Spaß mit ihm.
Johnny, Junge für alles Er lief immer hier und da mal rum, fütterte und reparierte Zäune
Brian, der Koch Ein richtiger Ranch-Koch, der sein Leben lang von Küche zu Küche gereist ist. Und kochen konnte er hervorragend!

Der erste Tag

Für den nächsten Morgen war ein Round up angekündigt, Frühstück um fünf. Ich würde natürlich nicht mitmachen müssen - nach der späten Anreise.
Müssen? Dürfen! Um halb fünf stand ich auf, begrüßte die anderen Gäste und suchte im Dunkeln mit den anderen zusammen mein Pferd auf der benachbarten Koppel.
Stephen fragte mich, ob ich gut reiten könnte. Ja, natürlich, schließlich war ich ja eigentlich zum großen Round up gekommen. Und Bescheidenheit war hier nicht gefragt - das hätte mir nur irgendein lahmes Pferd eingebracht.
Er suchte mir einen kleinen Rappen aus, Poncho. Was ich für ein Glück mit dieser Wahl hatte, habe ich erst später herausbekommen.
Die Pferde bekamen Hafer, dann putzten und sattelten wir sie. Wir ritten los, als die Sonne gerade aufging, ich sah zum ersten mal die Ranch.
Eine schöne und sehr gepflegte Ranch, wie ich feststellen musste. Die Gebäude alle weiß gestrichen und ordentlich in Stand gehalten.
Aber mir blieb nicht viel Zeit, mich umzusehen - der Tross zog los, um ein paar Rinder von den Weiden zu holen. Mit vier Gästen im Schlepptau trabten Stephen, sein Sohn Ivon und John in Richtung Norden.
Trabten. Nach einer halben Stunde über Stock und Stein konnte ich die Frage nicht mehr bei mir behalten: "Habt ihr noch nie ein Pferd mit gebrochenen Beinen gehabt?" wandte ich mich an Stephen. 
Der grinste mich an. "Nö."
Inzwischen war es hell geworden, skeptisch betrachtete ich die dicken Wackersteine auf dem Trail, über den wir ritten. War ich in Wyoming schon von der Trittsicherheit der Pferde fasziniert gewesen - hierzu war das gar kein Vergleich. Unglaublich, auf was für einem Boden hier mit den Pferden Gas gegeben wurde.
Außer dem Boden betrachtete ich dann auch die Landschaft. Schockiert. Hier lebten Rinder? Steiniger, sandiger Boden. Bewachsen mit Kakteen. Links Kakteen. Rechts Kakteen. Felsbrocken. Noch mehr Kakteen. Büsche! Aber bei näherem hinsehen keine Blätter, nur Stacheln. Ein Büschel trockenes, gelbes Gras irgendwo - Whow! 
Es war bizarr, faszinierend - aber nicht schön. Ich hatte nicht damit gerechnet, in einer solchen Wüstenlandschaft zu landen und musste die kargen Aussichten erst mal verdauen. Nach den wunderschönen Plätzen in Wyoming war das hier die reinste Mondlandschaft.
Wir trennten uns in zwei Gruppen, Stephen hielt über ein Funkgerät Kontakt zu der Gruppe, die sein Sohn führte. Laura, eine Amerikanerin in meinem Alter, und Matthias, ein deutscher Student, ritten mit Ivon, während ich mit Christine, einer Australierin, hinter Stephen her ritt. Er gab ein gutes Tempo vor, während er sich durch die felsige, hügelige und kakteenreiche Landschaft seinen Weg suchte. Ich hielt mit Poncho gut mit, aber Christine rief alle fünf Minuten "Wait for me! Wait for me!" - eine etwas dämliche Anfrage, wenn man Rinder zusammentreiben wollte, also nicht zum Vergnügen ritt.
Rinder gab es nur vereinzelt - genau genommen hätte ich sie gar nicht gesehen, wenn Stephen mich nicht auf sie aufmerksam gemacht hätte. Überhaupt war er erfreulicherweise nicht irgendein stummer Cowboy, sondern erklärte gerne und beantwortete alle Fragen ausführlich. So machte die Arbeit richtig Spaß - wenn dann jemand dabei war, der sich auskannte (Stephen war ca. 37 Jahre alt und hier aufgewachsen) und auch gerne von seinem Leben erzählte. Durch ihn erfuhr ich an den zwei ersten Tagen mehr über das Ranchleben als im Sommer in den drei Wochen auf der Ranch in Wyoming.
Wir trieben schließlich einige Rinder zusammen und trafen wieder auf Ivons Gruppe. Gemeinsam folgten wir den Kühen in ein Gelände, wo diese stacheligen Büsche die Kakteen dominierten. Hier machte ich dann auch die ersten Erfahrungen mit dem Gestrüpp - und wünschte mir die Kakteen wieder herbei ...
Die Kühe flüchteten fortwährend in die Büsche - und die Reiter mussten hinterher. Leider war man als Reiter etwas größer und wurde von den Pflanzen an Armen und Beinen böse zerkratzt. Wirklich ungemütlich.
An einer kleinen Furt hielten wir an und ließen die Rinder saufen und sich ausruhen - es war inzwischen sehr heiß geworden. Aus Rücksicht auf diese ekelhaften Büsche krempelte ich mir meine Ärmel aber nicht hoch. Darum wurden also "lange Ärmel" empfohlen - und ich hatte gedacht, weil es im Oktober schon etwas kühler sei.
Nach sieben Stunden kamen wir mit einer Herde von etwa fünfundzwanzig Tieren auf der Ranch an. Obwohl ich eigentlich sehr müde sein müsste - das war ein Ritt ganz nach meinem Geschmack gewesen!

Nach dem Mittagessen ließ ich mir von Jim die Ranch zeigen. Neben dem Ranchhaus, in dem vier Gästezimmer, das Esszimmer und die Küche waren, gab es noch drei "Cabins" für die Gäste, alleinstehende kleine Häuschen mit je zwei Schlafzimmern und einem Bad. Außerdem das Haus von Stephen, einige Scheunen und Nebengebäude und eine große, umgebaute Scheune mit Theke, Billardtisch, Dartspiel, Fernseher und Sitzecke als Aufenthaltsraum für die Gäste.
Bis Stephen wieder an seine Arbeit ging saßen wir vor dem Ranchhaus auf der Veranda und tranken Kaffee. Der Eingang zum Haus bestand aus zwei Schiebetüren, eine aus Glas, die tagsüber offen war, eine aus schwarzem Fliegengitter. Ich ging rein, holte mir etwas zu trinken, ging wieder raus ... und hatte auf einmal irgendwas vor mir im Weg. Die Fliegengitterschiebetür flog vor mir auf die Veranda - ich hatte sie nicht gesehen und war einfach durchgelaufen. Nach dem ersten Schock konnte ich mich nicht mehr halten - alles lachte sich mit mir oder über mich halb tot. Es musste ein göttliches Bild gewesen sein ...

Für den Nachmittag war Kälber brennen und impfen angesagt. Die Tiere, die wir am morgen zusammengetrieben hatten, wurden in einen Corral gebracht, wo Stephen und Ivon sie sortierten. Wir Gäste konnten dabei eigentlich nicht helfen, aber Stephen forderte Laura und mich trotzdem dazu auf, unsere Pferde zu satteln. So wurden wir dann als "lebender Zaun" im Corral aufgestellt, wo wir die Rinder daran hinderten, abzuhauen, während Stephen mit seinem Pferd einzelne Tiere von der Herde trennte und Ivon, ebenfalls auf dem Pferd, den Torwächter machte.
Dann ging es in einen anderen Corral, wo etwa sechs oder sieben Kälber mit ihren Müttern waren. Laura und ich banden unsere Pferde außerhalb des Corrals an. Ein kleiner Gasbrenner wurde angezündet, um die Brandeisen anzuheizen. Stephen fing mit seinem Lasso ein Kalb an den Hinterbeinen, Ivon rannte dazu und warf es um, Stephen sprang vom Pferd (das das Seil zum Kalb gespannt hielt) und holte das Brandeisen. Je nach dem, was für ein Kalb es war, bekam es eine Brand wie ich ihn kannte - das Eisen wurde einmal draufgehalten, fertig. Oder aber er malte das Brandzeichen regelrecht auf die Hinterbacke des armen Tieres - das dauerte dann etwas länger ...
Dann wurden die Ohren markiert. Stephen nahm ein Messer und schnitt einfach Stücke heraus, Blut floss.
Wenn das Kalb Pech hatte und männlich war, dann wurde es kastriert.
Ich machte eine Menge Fotos, dann forderte Stephen uns auf, zu helfen. Laura machte den Anfang und hielt eines der Kälber fest, während Stephen es brannte und die Ohren kennzeichnete. Dann war ich dran. Ich hockte mich fast auf den Hals des Kalbes und zog eines seiner angewinkelten Vorderbeine nach hinten, damit es sich nicht mehr bewegen konnte. Die Hinterbeine waren ja durch das Lasso an das Pferd gebunden. 
Ich hatte ein männliches Kalb erwischt - und sah jetzt erst genau, wie Stephen es kastrierte. Ich riss den Mund auf vor Entsetzen. Er griff nach dem Hodensack des Kalbes, zog ihn ein wenig hoch und schnitt ihn dann rundherum auf. Der Hodensack flog in den Sand. Dann griff er in die Wunde herein, zog zwei kleine Würstchen - die Hoden - heraus und klemmte sie mit einer speziellen Zange ab. Fertig. Jetzt noch ein desinfizierendes Spray darauf und das arme Tier war kastriert. 
Es war entsetzlich und ich wunderte mich, warum die Kälber nicht schrieen wie am Spieß. Erst Zuhause erfuhr ich warum - nachdem ich meine Fotos entwickelt hatte. Sie konnten nicht schreien, vor Schmerz streckten sie die Zungen weit aus dem Maul heraus, die Augen traten fast aus ihren Höhlen.
Es war, vor allem für europäische Maßstäbe, unglaublich brutal. Und trotzdem - mein Mitleid hielt sich in Grenzen. Denn diese Tiere machen dieses Erlebnis einmal in ihrem Leben - drei Minuten lang. Dann werden sie wieder freigelassen, bis sie groß genug sind, um verkauft zu werden. Unsere Kälber in Deutschland werden nie freigelassen, sie fristen ihr gesamtes Leben in engen, dunklen Mastboxen. Was sind schon drei Minuten Schrecken gegen lebenslange Dunkelhaft?
Grillfleisch ...Die herausgeschnittenen Hoden wurden auf den Gasbrenner gelegt und gegrillt. Ich dachte, sie machen das, um die Touristen zu verarschen. 
Weit gefehlt! Ich sah Ivon eines der Fleischstückchen essen.
"Schmeckt das?" fragte ich ihn angeekelt.
"Ein bisschen wie Steak", behauptete er und bot mir eins der kleinen Würstchen an.
"Ich würde es ja auch probieren, aber es soll ja eine 'anregende' Wirkung haben ... wer weiß, wie das dann auf Frauen wirkt!" lehnte ich dankend ab.
Nachdem die kleinen Kälber "versorgt" waren wurden wieder Rinder sortiert. Laura und ich spielten die lebende Mauer, während ein Gruppe älterer Kälber in Männlein und Weiblein getrennt wurde.
Die weiblichen Kälber kamen in ein sehr kleines Gehege, von dem aus sie einzeln in eine Art Käfig getrieben wurden, in dem man sie bis zur Bewegungslosigkeit einklemmen konnte. Der Tierarzt war gekommen, diese Tiere sollten geimpft werden, außerdem bekamen sie eine Metallklemme ins Ohr und wurden tätowiert.
Nachdem ich meine Fotosession beendet hatte, half ich dabei, die Kälber durch einen engen Gang in den Käfig zu treiben. Auch hier wurde nicht lange gefackelt, wenn die Viecher aus lauter Panik zu zweit in den Käfig sprangen, wurden sie eben gemeinsam eingequetscht. Ich wunderte mich, dass die Tiere diese Prozedur ohne gebrochene Knochen überstanden.
Wir arbeiteten fast bis Sonnenuntergang, dann waren alle weiblichen Kälber geimpft.
Nein, zartfühlend waren die Cowboys bei ihrer Arbeit mit den Tieren wirklich nicht ...

Zweiter Tag - Round up und Sightseeing

Wieder ritten wir bei Sonnenaufgang los, diesmal aber in reduzierter Besetzung - nur Stephen, Ivon, Laura und ich.
Wir trennten uns nach einigen hundert Metern. Da mein Pferd trittsicherer war als Lauras Goldfuchs, folgte ich Stephen durch die raue Landschaft abseits der Wege, während Laura sich mit Ivon auf den Trails hielt.
Wir suchten nach einzelnen Rindern (in diesem kargen Land bestanden die Rindergruppen nie aus mehr als drei oder vier Tieren), die wir am Vortag von der Ranch aus auf diesen Hügeln gesehen hatten. Es war wieder sehr interessant für mich, da Stephen viel erzählte. 
Auf dieser Ranch durften die Gäste nicht ohne einen Wrangler ausreiten wie das auf "meiner" Ranch in Wyoming üblich gewesen war. Das hatte ich aber vorher gewusst, und solange ich mit einem "echten" Cowboy auf einen Round up gehen konnte, störte mich das auch nicht. Trotzdem genoss ich es, als Stephen auf einen anderen Hügel zeigte und mich dazu aufforderte, dort alleine einige Rinder zusammenzutreiben und in die davor liegende Ebene zu bringen. Wir würden uns dann dort wieder treffen.
Ich ritt also mit Poncho los, um auf eigene Faust Cowboy zu spielen.
Die Rinder hier waren einfacher zu treiben als die in Wyoming. Ohne Probleme sammelte ich sieben oder acht Tiere ein und brachte sie in die Ebene, die am Rande eine Flusses lag.
Nach etwa zehn Minuten sah ich die anderen kommen, Ivon und Laura waren wieder dabei und außerdem der zweite Wrangler, Rob, den ich am Vortag nur kurz gesehen hatte, weil er krank gewesen war.
Aus welchem Grund auch immer jagten wir den Fluss entlang - ich stellte meinen Verstand ab und hoffte nur, dass mein Pferd sich bei dem rasanten Galopp durch die Wackersteine am Ufer nicht hinlegte. 
Wir verloren einander und trafen uns schließlich auf der Ebene wieder, nur Stephen war noch unterwegs, wir machten also ein Päuschen, um auf ihn zu warten.
Ich unterhielt mich mit Ivon über das Rodeoreiten. Er ritt "bucking horses" und erzählte darüber. Er war bei seinem Vater aufgewachsen und, auch wenn er um des schnöden Mammons wegen nicht auf einer Ranch arbeiten konnte, ein waschechter Cowboy.
Rob konnte ich nicht so gut einschätzen, er war, wie John, eingestellt worden, um die Gäste zu betreuen und die Pferde zu beschlagen. Ein echter Cowboy war er sicherlich nicht, aber zumindest hatte er Humor.
Als Stephen endlich wieder eintraf trennten wir uns wieder in Gruppen auf. Ich sah mir Stephens Hemd an - total zerrissen von den dornigen Büschen. Ivons Hemd - leuchtend weiß und vor allem - nicht kaputt. Also folgte ich lieber Ivon ...
Wir ritten auf der Suche nach einer einzelnen verstreuten Kuh auf der mit diesen Dornengewächsen bedeckten Ebene herum. 
Als wir gegen Mittag endlich mit fünfzehn Rindern auf der Ranch eintrafen, hatte auch ich ein paar Löcher in meinem eigentlich recht strapazierfähigem Baumwollhemd.
Vor dem Mittagessen sortierten wir noch die Tiere. Am Nachmittag (nachdem ich wieder durch diese blöde Fliegengittertür hindurchgerannt war - sehr zum Vergnügen der Zuschauer)  wurden dann die drei oder vier Kälber gebrannt und kastriert. 
Dann kam wieder der "Einklemm-Käfig" zum Einsatz. Diesmal wurden zwei ausgewachsene Kühe nacheinander hineingetrieben. Ihre Hörner wuchsen in Richtung Kopf und mussten abgeschnitten werden.
Stephen machte das mit einer Art Säge. Ich wusste nicht, dass in den Hörnern Blut ist. Wieder war ich schockiert darüber, mit was für harten Methoden hier gearbeitet wurde. Mit Hörnerstummeln, aus denen das Blut tropfte, wurden die Kühe wieder freigelassen.

Es war erst halb drei, die Rinderarbeit war für diesen Tag erledigt. Mittags waren zwei neue Gäste eingetroffen, ein älteres Ehepaar aus New York, die Frau eine absolute Reitanfängerin.
Es wurde ein Sightseeing-Ritt für die Gäste angekündigt - ein wenig lustlos sattelte ich mir Poncho.
Dieser zweistündige Ausritt gab mir dann einen Vorgeschmack auf das, was mir in den nächsten sieben Tagen bevorstehen würde. Man hatte mir nämlich so ganz nebenbei hier mitgeteilt, dass Stephen die nächsten Tage nicht da sei - und ohne Stephen gab es keine Rinderarbeit auf der Ranch. Das ist Ranchleben - ich war enttäuscht, aber es ließ sich halt nicht ändern. 
Aber das, was mir auf diesem Ausritt geboten wurde - das sollte man dringend ändern!
John übernahm die Führung der fünf Gäste und schluffelte schlechtgelaunt irgendwelche kargen Wege entlang. Aus der Reihe tanzen war nicht erlaubt - Kopf an Schweif und Schweif an Kopf mussten wir hinter ihm herlatschen. Es war deprimierend. Als dann auch noch die Australierin Christine anfing, deutsche Weihnachtslieder zu singen, war es meine gute Laune endgültig dahin. Das sollte mein Ranchurlaub sein?
Als ich nach diesem frustrierendem Erlebnis wieder auf der Ranch ankam, sah ich Rob auf einem Pferd sitzend vor einem der Ranchgebäude. In der Hoffnung auf etwas interessanteres Entertainment trennte ich mich von Johns Gruppe und ritt zu ihm hin. 
Glück gehabt! Er wollte gerade irgendwohin losreiten und forderte mich auf, mitzukommen.
Wir passierten ein Tor. Da sein Pferd sich reichlich stur benahm ließ er mich vor, um das Gatter zu öffnen. Fand ich gut - ich hatte das zwar noch nie vom Pferd aus gemacht, aber Poncho kannte sich offensichtlich damit aus.
Ich fragte, wo es denn eigentlich hinginge. Rob sagte es nicht sondern meinte nur, ich sollte den Knopf von meiner Hemdentasche schließen, damit mein Tabak nicht herausfiele - es würde ziemlich wild werden. 
Das wurde es dann auch, wir gelangten an ein ausgetrocknetes, sandiges Flussbett, wo wir uns ein kleines Rennen lieferten. Etwas überrascht war ich nachher nur, als Rob behauptete, sein Pferd Montana sei ein Englisches Vollblut - skeptisch betrachtete ich den kräftigen Wallach mit dem starken Hals und den gar nicht feinen Beinen.
"Das ist kein Vollblut - da hat man Dich beschissen!" ärgerte ich ihn auf dem ganzen Rückweg, während er entrüstet darauf bestand, sogar Papiere zu haben, die Montanas Abstammung beweisen würden.
Der kurze, aber schnelle Ritt hatte mich ein wenig über den grässlichen Ausritt mit John hinweggetröstet, mit erheblich besserer Laune brachte ich mein Pferd auf die Koppel.

Für den nächsten Tag sollten zwei Gruppen zum Ausreiten gebildet werden - eine für die Anfänger und eine für die Fortgeschrittenen. Da es sehr heiß war fragten Laura und ich bei Jackie an, ob es möglich sei, früher als erst um neun Uhr loszureiten. Sie wurde direkt fuchsig und meinte, dass sie aber nicht früher Frühstück machen würde! Aber Abritt um acht sei möglich, wenn wir zusammen mit den Wranglern um sieben frühstücken würden. 
Nicht gerade eine gästefreundliche Aussage, aber ich gab mich damit zufrieden. 
Abends wurde ein Lagerfeuer angezündet, wir saßen alle drum herum und unterhielten uns. Auf einmal wurde Jackies Zusage zurückgezogen - Frühstück für Gäste nicht vor acht Uhr und Abritt nicht vor neun. Da wurde ich dann doch sauer. Erst die Zusage machen, dass ich jeden Tag Rinderarbeit haben würde - und die dann zurückziehen. Okay. Ranchleben, das ist sozusagen höhere Gewalt. Aber dann auch noch unflexibel sein - das ging mir zu weit. Ich musste wegen der Zeitverschiebung bis zum nächsten Morgen warten, aber dann griff ich zum Telefon und rief bei meinem Reiseveranstalter in Deutschland an, um mich zu beschweren.
Forderung - tja. Ich saß hier fest, viel zu fordern gab es eigentlich gar nicht. Ich wollte nur meinen Frust los werden. Vielleicht sogar die Ranch kurzfristig wechseln? Oder zumindest die strengen Regeln hier ein bisschen auflösen.
Mein Reiseveranstalter machte ein bisschen Wind, ab und zu war doch mal ein etwas früherer Ausritt möglich, aber im großen und ganzen brachte es mir eigentlich nur einen Spitznamen ein. Complaining-Heike. So weit kann man sinken - in Wyoming nannte man mich anerkennend "Calamity Jane" ...
Fortan wurde alles, was ich sagte, als Beschwerde ausgelegt und sofort entsprechend zurückgewiesen. 

Sieben Tage boring-Mule-Shoe-days

Die folgenden Tage begannen für mich immer gleich. Früh aufstehen - weil ich einfach nicht lange Schlafen wollte oder konnte - ich war doch auf einer Ranch - meine Traumurlaub! In Wyoming war ich immer früh aufgewesen, zum Fenster gegangen, hatte herausgeschaut und zu mir gesagt: "This will be a great day!". Hier stand ich auf, murmelte: "This will be another boring Mule Shoe day" und saß dann drei Stunden mit Kaffee auf der Veranda, bis die anderen endlich ausgeschlafen und gefrühstückt hatten.
Natürlich lief ich nicht fortwährend übelgelaunt herum, ich versuchte das beste daraus zu machen. Aber die Zeiten, die ich gelangweilt auf der Veranda verbrachte - morgens und nachmittags nach dem Mittagessen - waren der reinste Horror für mich. Man durfte ja nichts machen. Ich fing an, mir Lasso werfen beizubringen. Und suchte so verzweifelt nach Beschäftigung, dass ich sogar die Hundezwinger säuberte und Holz für das Lagerfeuer ablud.
Die anderen Gäste waren nicht in meinem Alter, nachdem die Amerikanerin Laura, mit der ich viel Spaß gehabt hatte, abgereist war, blieben nur noch zwei ältere Ehepaare und die Australierin Christine übrig. Diese Frau war eigentlich bewundernswert - über sechzig und seit acht Monaten auf der ganzen Welt unterwegs, um zu reiten. Trails und Wanderritte in Asien, Europa und Amerika - diese Frau hatte eine gehörige Energie! Leider verwandte sie die auch darauf, den anderen Gästen mit ihrem unentwegtem Gelaber auf die Nerven zu fallen. Sie war unerträglich, man ging ihr besser aus dem Weg.
Der Wrangler John war so ziemlich der übel gelaunteste Mensch, den ich je kennen gelernt hatte. Er erzählte stolz jedem, dass er lange im Knast gewesen war und ließ dann auch nebenbei fallen, dass er ja froh sei, wenn die Gäste endlich abreisen würden, dann hätte er wenigstens seine Ruhe ...
Ein wirklich motivierender Bursche.
Lichtblicke waren die Zeiten, in denen Rob da war. Er war immer fröhlich und ließ die Gäste alles ausprobieren. Zwei mal hatte ich die Ehre, mit ihm ausreiten zu dürfen anstatt einen Touri-Ausritt mit John zu machen. Er kannte auch schöne Stellen auf der Ranch, wo es Bäume und sogar Gras gab, außerdem verbot er einem nicht, mal drei Meter vom Weg abzuweichen, um eine seltene Kaktusart näher zu betrachten. Er verstand sich darauf, die Ausritte interessant zu gestalten, mit solchen Ritten hätte ich mich für die sieben Tage sogar halbwegs zufrieden abgefunden. Aber meistens war der mürrische John der Führer. Diese Ritte waren so frustrierend, dass selbst ich, normalerweise nie vom Pferd herunterzubekommen, an einem Nachmittag sagte "Nö, reitet mal alleine los - ich bleibe lieber hier ..."
Was mir von diesen sieben Tagen in Erinnerung bleibt, sind viele Stunden Langeweile und einige wenige interessante Erlebnisse. 

Einen schönen Ausritt hatten wir zu einem Wasserfall. An einem Fluß banden wir die Pferde an, wir sollten von dort aus ein Stück zum Wasserfall wandern. Ich habe standhaft versucht, mich zu weigern - schließlich buche ich extra Ranchurlaube, damit ich nicht zu Fuß gehen muss ...
Chancenlos, schließlich hatte Laura mich überredet. Nur das mit dem "wandern" - das war gelogen. Es wurde nicht gewandert, sondern geklettert. Also kraxelte ich mit über mannshohe Steine, balancierte auf Felsen mehrfach über den Fluß und kam mit nassen Füßen auf einem riesigen Felsen an, um den sich ein kleiner Wasserfall schlängelte. Dann war ich wirklich am Ende, als nächstes wäre eine drei Meter hohe Steilwand zu überwinden gewesen. Aber auch die anderen hatten keine große Lust mehr, also blieben wir auf dem Felsen, genossen den Anblick der Schlucht und sonnten uns. Die Kletterei dahin war Wahnsinn gewesen, aber die Stunde auf dem Felsen war es wert. Nach den Kakteen-Kratzbüsche-Steine-Aussichten war das eine tolle Abwechslung. Das Wasser war so sauber, dass man es sogar direkt aus dem Fluss trinken konnte.
Mit Laura, deren letzter Tag das leider war, hatte ich viel Spaß! Auf dem Rückweg zur Ranch benahmen wir uns wie Teenies und amüsierten uns königlich.
"What are you laughing about?" wurden wir gefragt.
"Oh - we're enjoying the good view ..."
Die anderen Gäste stimmten uns höflich zu und starrten in die öde Kakteenwüste - aber ich glaube, nach einer Stunde war selbst Rob klar, dass wir mit "good view" seinen wirklich sehenswerten Rücken meinten ... *g*
A good view ;-)Ich mußte dann Laura versprechen, bei passender Gelegenheit ein paar Fotos vom "good view" zu machen und ihr die Bilder zu schicken - hab' ich natürlich gemacht. ;-)

Indian paints

Ein anderes Mal sind wir einen Flußlauf entlang geritten, bis wir zu einigen Felsen kamen, wo Indianerzeichnungen in die Steine eingeritzt waren. Auch dies war eine wirklich herrliche Szenerie (landschaftlich! ;-) ), die man in dieser Wüste gar nicht erwartete zu finden. Man braucht wohl nicht weiter zu erwähnen, dass es nicht John war, der uns zu so einem schönen Platz führen konnte ...

Abends half ich beim Füttern der Pferde und Kälber mit Heu, manchmal fütterte ich auch mit Rob zusammen Stephens Bluthunde, die er für die Jagd auf Berglöwen hielt. Mit Johnny fuhr ich einmal zu einer kleinen Landebahn und durfte mit seinem Revolver auf ein Stück Holz schießen. Mit Rob war ich einen Nachmittag in Prescott zum einkaufen, auf dem Rückweg durfte ich die restlichen zehn Meilen Schotterweg zur Ranch seinen "Truck" fahren - ein riesiger Geländewagen mit fünfhundert PS. Abends wurde manchmal Ping Pong oder Dart gespielt. Einen Abend, als Laura noch da war, fuhren wird zu dritt mit Robs Truck einen Hügel hinauf, um dort im Dunkeln die Sterne zu beobachten. Die Fahrt dorthin war das reinste Abenteuer - ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass ein Wagen durch dieses unwegsame Gelände fahren könnte - durch einen Fluss durch und sandige und felsige Trails mit unglaublichen Steigungen hinauf und hinab - das ließ den Adrenalinspiegel richtig gut hoch knallen ...
Selbst mit der Fliegengitterschiebetür kam ich inzwischen gut zurecht. Einmal öffnete ich sie und ging voller Stolz hindurch ... *plong* ... die Glasschiebetüre war auch zu gewesen ...
Ein anderes Mal verließ ich das Ranchhaus voller Stolz ohne Schiebetürzusammenstöße ... *pflatsch* ... und trat auf der Veranda eine Frosch platt.

An einem Tag zogen alle Gäste gemeinsam mit John und Rob zu einem langen Ausritt aus. Unterwegs trafen wir auf ein Fohlen, das mutterseelen allein war. Wir ritten zu ihm hin und sahen die schrecklichen Verwundungen, die das Fohlen an den Hinterbeinen hatte. Offensichtlich war es im Stacheldraht hängen geblieben, an seinen Schenkeln klafften riesige Wunden. Es sah nicht gut für das Fohlen aus, zudem ließ es sich auch nicht einfangen. Und die Mutter musste dringend gefunden werden, damit es Milch bekam. Alle waren in heller Aufregung, und außer mir waren die Gäste nicht sehr sicher mit ihren Pferden. Schließlich brach ich mit Robs Wissen auf, um dabei zu helfen, die Mutterstute zu finden. 
Gäste durften ja auf dieser Ranch nicht alleine ausreiten, aber hier lag ein Notfall vor, außerdem befanden wir uns auf einer verhältnismäßig kleinen Weide in der Nähe der Ranch. Ich suchte also nach dem Pferd, konnte es aber nicht finden. Nach einer Stunde ritt ich zurück zu der Ebene, auf der wir das Fohlen gefunden hatten, und fragte nach, ob die Mutter inzwischen aufgetaucht sei. Nein, war sie nicht. 
Sie waren gerade dabei das Fohlen in einen Trailer zu verladen. Ich brach also nochmals alleine auf und begegnete unterwegs Jackie, die in einem Wagen an mir vorbei fuhr. Ich rechnete fast damit, dass sie etwas dazu sagte, weil ich alleine unterwegs war, aber sie hielt nicht an.
Nach einer weiteren Stunde erfolgloser Suche kehrte ich zur Ranch zurück. Kurz bevor ich dort ankam, wurde ich von John abgefangen - offensichtlich war man schon in heller Aufregung gewesen, wo ich sei. So etwas albernes - ich war extra früh genug umgekehrt, um gegen zwölf zurück zu sein.
Als ich mit John an der Ranch anlangte, rannte die dicke Jackie zum Zaun und machte mich herunter wie den letzten Stallknecht. Es sei nicht erlaubt, dass Gäste alleine ausritten. Wie ich es denn wagen könnte, ohne die Begleitung eines Wranglers herumzureiten?
Was soll man dazu sagen? Aus ihrer Sicht hatte sie vollkommen recht - auf den ersten Blick. Aber es lag ein Notfall vor. Und ich war ein zahlender Gast. Für dreihundert Mark am Tag durfte ich vielleicht etwas mehr Diplomatie erwarten ...
Die Mutterstute wurde am Nachmittag noch gefunden, aber das Fohlen, das man in einer Klinik in Prescott notdürftig verarztet hatte (die Wunden waren schon zu alt um noch genäht werden zu können), musste drei Tage später getötet werden. Es konnte nicht mehr ohne Hilfe aufstehen.
 

Der Headwrangler kommt zurück

Nach sieben Tagen kam Stephen zurück - endlich!
Morgens brachen alle Gäste mit John zu einem weiteren Touri-Ausritt auf - nur ich blieb auf der Ranch zurück und wurde dem Headwrangler sozusagen übergeben. 
Na fein, dachte ich - nun werden sie mir wohl kräftig einen reinwürgen und mich sieben Stunden im Trab durch die Gegend jagen. Kleine Rache für meine Beschwerde bei der Reiseagentur ...
Aber das würde ich schon hinkriegen.
Statt Rache bekam ich an diesem Tag zwei interessante, aber ruhige Ausritte mit Stephen. Wir trieben ein paar Rinder um und ritten dann Zäune ab, die er hier und da reparierte. Er erklärte wieder viel, einmal machte er mich auf eine handtellergroße Spinne aufmerksam, eine giftige Tarantula. Er stieg sogar von seinem Pferd, um ein Foto von ihr für mich zu machen. Das war endlich mal wieder ein Tag ganz nach meinem Geschmack!
Abends Lagerfeuer. Auf der Veranda hatte ein Gast, Eileen, ihren Hut auf dem Tisch abgelegt. Rob legte eine Frosch darunter und forderte mich auf, mit ihm weitere von den Viechern zu suchen. Ich fragte: "Wie sieht denn so ein Tier aus?"
Er zeigte mir seinen Frosch.
"Nö - das ist kein Frosch. Ich habe hier schon mal einen gesehen - die sind viel größer und ganz platt ..."

Am nächsten Tag brachen wir früh auf, um Rinder zusammenzutreiben. Wir ritten zu sechst los. Unterwegs fanden wir eine Klapperschlange - eigentlich nichts ungewöhnliches in dieser Gegend, ich hatte schon zwei weitere gesehen. Stephen sprang von seinem Pferd und begann, mit seinem Lasso auf die Klapperschlange einzuschlagen.
"Hey - kann man eine Klapperschlange mit einem Lasso einfangen?" fragten wir entsetzt.
Nein, kann man natürlich nicht, er erschreckte sie wohl nur so sehr damit, dass er mit dem Fuß ihren Kopf zertreten konnte. Raue Sitten im Wilden Westen ...
"Jetzt sieh Dir an, was Du mit der Schlange gemacht hat - mit dem zermatschten Kopf gibt das aber kein gutes Foto ..." beschwerte ich mich scherzhaft bei ihm, als er uns das tote Tier zeigte.
"Und jetzt? Essen wir die heute Abend?" fragte ich.
Angewidert meinte Stephen sofort: "Nein!"
"Nein? Rinderhoden eßt ihr, aber keine Schlange?" Na so was ...
Ich hielt die Schlange auch mal kurz - ich habe noch nie so ein Viech berührt. Kalt, glatt, weich. Und ziemlich schwer zu halten, weil sie sich wie verrückt in meiner Hand wand - die Muskeln arbeiten noch eine zeitlang, wenn die Schlange tot ist.
Stephen schnitt sich die Klapper ab.
"Was machst Du damit?"
"Ich weiß nicht. Vielleicht verschenken. Willst Du sie?"
"Nö, danke - das ist nicht die Art von Souvenirs, die ich mir ins Wohnzimmer lege ...", lehnte ich ab.
John häutete die Schlange, das Leder wollte er für einen Gürtel oder so was. Auch die hautlose Schlange mit zermatschtem Kopf und ohne Schwanzende wand sich noch auf dem steinigen Boden.

Gegen elf führte John zwei Gäste zurück zur Ranch, während ich mit Stephen und einem anderen Gast, Paul, weiterritt. Wir holten ca. 15 Rinder aus den Hügeln und kamen völlig ausgetrocknet gegen vier Uhr nachmittags zurück zur Ranch. Nachdem ich mein Pferd versorgt und dann selbst etwas getrunken hatte, wäre ich am liebsten wieder losgeritten. Anstatt kaputt auf der Veranda zusammenzubrechen war ich jetzt so richtig fit und wartete ungeduldig bis fünf Uhr, um beim füttern der Tiere zu helfen.
Abends war wieder Lagerfeuer angesagt. Es gab Ärger unter den Rancharbeitern, Rob hatte sich wohl mit Jackie in die Haare bekommen - zumindest packte er seine Sachen und fuhr noch am gleichen Abend weg.
Schade eigentlich - er war immer so gut gelaunt gewesen. Und reichlich kurzsichtig von Jackie. Ich hatte die Gästebucheinträge gelesen, jeder zweite schrieb etwas in der Art wie "Und vielen Dank an Rob, der uns so eine lustige Zeit bereitet hat" hinein. John als Gästebetreuer alleine hier zu lassen - das war ja fast wie sich das eigene Grab zu schaufeln. Sicherlich waren die beiden Wrangler faul wie Dreck gewesen - aber wenn es um die Betreuung der Gäste ging, war Rob der absolute Glückstreffer für die Ranch, denn an den Tagen, an denen Stephen nicht da war (das kam wohl häufiger vor) waren die Gäste auf die Gesellschaft der beiden "Gast-Wrangler" angewiesen. Und je besser die sich um die Gäste kümmerten, umso eher kamen die Gäste wieder. Ich wäre auch schon längst abgereist, wenn ich die sieben Tage ohne den Headwrangler ausschließlich mit dem ewig schlecht gelauntem John hätte verbringen müssen.

Am Freitag brachen wir wieder zum Round up auf. Nach einiger Zeit trennten wir uns, John ritt mit Christine weiter, während ich mit einem anderen Gast, Jerry, bei Stephen blieb. Wir brachten ca. dreißig Rinder zur Ranch, diesmal trafen wir schon mittags dort ein.
Nachmittags wartete Stephen auf einen Bekannten, der Fotos von seinen Kälbern machen sollte, die er verkaufen wollte. Ich gammelte auf der Veranda des Ranchhauses herum und hoffte, dass die Fotosession endlich über die Bühne ging, damit noch ein bisschen Rancharbeit gemacht werden konnte.
John und Stehen sahen mich wohl herumlungern und baten mich in Stephens Haus. Er zeigte mir ein Berglöwenfell mit ausgestopftem Kopf, das bei ihm im Wohnzimmer an der Wand hing, außerdem Fotos von der Berglöwenjagd. Ich fand's ganz interessant, aber nicht unbedingt appetitlich. Auch von Stephens größten Stolz blieb ich nicht verschont. Er ging in seine Küche und holte eine blaue Plastiktüte aus seinem Gefrierschrank. Damit kam er zu mir und zeigte mir mit leuchtenden Augen den Inhalt. Der Kopf eines Berglöwen - aber ohne Fell, nur Knochen, Zähne, Fleisch und Augen. Zum Glück bin ich ziemlich hart im nehmen, außerdem weiß ich nicht, was "Das ist ja ekelig!" auf englisch heißt, weswegen mir keine Beleidigung herausrutschen konnte. Aber im Nachhinein könnte ich mich darüber kaputt lachen. Kein Wunder, dass er alleine lebt - welche Frau will schon beim Griff nach einer Tiefkühlpizza einen felllosen Löwenkopf in der Hand halten ...
Die Fotosession ließ auf sich warten, schließlich wurde es so spät, dass nur noch Heu füttern anstand. Mit Stephen fuhr ich dann noch zu den Bluthunden, um sie zu füttern und die Zwinger sauber zu machen. Etwa zehn Tiere lebten etwas außerhalb der Ranch mehr oder weniger im Freien, da sie zu laut waren. Als ich sie zum ersten Mal gefüttert hatte, hatte ich noch Angst gehabt, sie würden mich anknurren oder gar beißen, aber das Gegenteil war der fall. Die meisten von ihnen ließen sich sogar lieber streicheln als sich auf das Futter zu stürzen.

Abends das obligatorische Lagerfeuer. Die anderen Gäste waren schon früh schlafen gegangen, also saß ich mit Stephen und John alleine an der Glut. Ich war ziemlich schweigsam. Mir blieben noch zwei Tage, am Montag würde ich abreisen. Und Stephen war ab morgen mal wieder nicht da, er musste auf eine Beerdigung und auf eine Hochzeit. Das hieß, dass ich wieder den furchtbaren Touri-Ausritten mit John ausgeliefert war.
Stephen, der head wranglerIch unterhielt mich noch lange mit Stephen über das Cowboyleben. Und über seinen Nebenjob als Berglöwenjäger. Dieser Job war hier in der Gegend wohl hoch angesehen und auch notwendig, da die Berglöwen auch Kühe rissen. Er nahm aber meistens zahlende Gäste mit, die unbedingt mal einen Löwen schießen wollen - das war etwas, was ich nicht gut fand. Ich konnte es tolerieren, dass er diese schönen Katzen tötet - er ist damit aufgewachsen und hat es nie anderes gelernt. Aber dass es Menschen gibt, die aus einer Großstadt hierher in die Natur kommen, um ein Tier zu töten - nein, dafür habe ich kein Verständnis.

Boring horseback ridings again und Abschied

pinkelnder Chunkey

Ich machte sie einen Tag lang mit. John brachte ich noch auf die Palme, weil ich andauernd die pinkelnden Pferde fotografierte.
"Warum machst Du das?"
"Für meine 'Peeing-Gallery' im Internet."
"Wozu soll das gut sein?"
Ich zuckte mit den Schultern. "Nur so ... - willst Du auch rein? Dann pinkel mal ..."
Man sollte mit humorlosen Cowboys keine Scherze machen ...

Am Abend reiste ich ab. Genug Touri-horseback-ridings - dafür war ich nicht nach Amerika gekommen. Meinen letzten Amerikatag nutzte ich dazu, mir Phoenix anzusehen, wo das Arizona fair stattfand, eine Art Jahrmarkt mit Tierausstellung. Lieber einen Tag American Way of Life besichtigen als mich wie Vieh von John durch die Kakteenwüste treiben zu lassen. 
Die Amis sind echt niedlich - aber manchmal spinnen sie. Wenn man auf dem Jahrmarkt ein Bier kauft (ggf. muss man einen Ausweis vorlegen, um zu beweisen, dass man mindestens 21 Jahre alt ist), bekommt man ein kleines Plastikarmband, das man zerschneiden muss, um es wieder ab zu bekommen. Nur wer dieses Armband trägt, darf an dem Bier trinken - so wollen sie verhindern, dass Minderjährige Alkohol trinken.
Waffen darf jeder kaufen - aber wenn man mal in den Straßengraben pinkelt, gibt's ein Bußgeld.

Diesmal war ich nicht so verzweifelt wie im Sommer bei meinem Abschied von Wyoming, als ich in den Flieger nach Deutschland stieg. Diese Ranch würde ich nicht vermissen, vielleicht die Ritte mit Stephen, aber bestimmt nicht die vielen Stunden Langeweile und die unfreundlichen Leute dort.
Außerdem wusste ich diesmal eines sicher: ich würde zurückkehren nach Amerika. Denn eines konnte mir selbst die Mule Shoe Ranch nicht nehmen - mein Gefühl für dieses Leben, meine Verbundenheit mit diesem Way-of-life.
Und darum, Amerika: I will be back!

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