Was passiert, wenn ein klassischer Englisch-Reiter auf eine alternative Reitweise trifft? Eine (Reiter-)Weltsicht bricht für ihn zusammen ...
    Das hier ist der Bericht einer Reiterin, die unabsichtlich einen Kurs für eine alternative Reitweise besucht. Der Blick über den (englischen) Horizont hinweg eröffnet ihr neue Möglichkeiten, die sie ohne diesen Anstoß nie erkannt hätte.

    Dieser Bericht steht stellvertretend für alle Neuerungen im Pferdebereich.
    Ein Reiter lernt nie aus ...

    Wer, zum Teufel, ist Penquitt?

    Es gibt zwei Reitweisen. Behaupte ich. Englisch und Western. Ich reite Englisch. Obwohl - eigentlich bin ich ja Freizeitreiter. Echter Freizeitreiter. Ich reite nicht nur in meiner Freizeit, sondern ich reite auch nur Feld, Wald und Wiese. Um das deutlich zu machen. Turnierreiter reiten ja auch in ihrer Freizeit. Trotzdem sind sie ja eigentlich keine Freizeitreiter, oder? 
    Na ja, und weil ich englisch Reiten gelernt habe, bin ich englischer Freizeitreiter ... 
    Ich habe sogar mal überlegt, ins Lager der Westernreiter überzuwechseln, weil die doch viiiiel lockerer Reiten - kommt dem Freizeitreiten näher, oder? Aber dann habe ich mir mal so ein paar Westernreiter angesehen ... hm. Das war aber irgendwie alles sehr merkwürdig. Die Zügel so komisch gehalten, so scharfe Gebisse, die dicken Sporen und die Pferde reissen die Mäuler so auf - so gar nicht leger ... dann doch lieber englischer Freizeitreiter. Auf die Grundsätze der englischen Reiterei aufgebautes legeres Reiten. Klappt eigentlich ganz gut, aber das Denken bleibt dabei immer in bestimmten Bahnen. Im Gelände wird locker geritten. Langer Zügel, wo möglich; viel mit Stimme. Ansonsten schluffeln lassen und Ausritt genießen. Und als Pflichtübung ab und zu mal auf den Platz. Hände sauber über dem Widerrist, Pferd mit ewigen hinten treiben und vorne ziehen zusammenstellen, Gebiß, konventionell, Wassertrense. Und weil der Kopf manchmal so hoch geworfen wird, daß die Zügel über die Ohren fallen: Martingal. Und weil die Zunge rausgestreckt wird: ein Nasenriemen. Genauso wird’s gemacht. Jawoll. 
    Ich weiß - Hilszügel haben in der Freizeitreitereri, sogar in der englischen, nichts zu suchen. Aber was soll ich machen, wenn ich mein Pferd anders nicht unter Kontrolle halten kann? 
    Das bin also ich. Mein Pferd kann nichts dafür. Er ist ein Araber. Mein erster (und einzig geplanter) Schritt ins Unkonventionelle. 
    Dann kam die Frage von einem Bekannten: "Bei uns im Dorf ist nächstes Wochenende ein Penquitt-Kurs. Hast Du nicht Lust, zuzusehen?" 
    Grundsätzlich sagte ich "Ja, schon. Aber ist so weit, und ich hab so wenig Zeit, und außerdem - wer, zum Teufel, ist Penquitt? Was machen die denn da?" 
    "Ja - so Freizeitreiten ..." 
    Hörte sich gut an ... was das nu ist, wußte ich zwar immer noch nicht, aber neugierig bin ich, und ich hatte grade ein Auto bekommen, das einen Hänger ziehen kann, also habe ich ernsthaft überlegt, meinen Masil einzuladen und mit ihm einen Kurs zu machen. Weil da jeder mitmachen kann, hat mein Bekannter gesagt. Englisch, Western - völlig wurscht. Aber es war dann doch zu kurzfristig, ich weiß gar nicht, ob mein Masil verladefromm ist und überhaupt ... 
    Die Ausrede hat nichts genutzt. Mein Bekannter hat sich umgehört und gefragt und getan - und schließlich jemanden im Dorf gefunden, der mir sein Pferd für den Kurs leiht. Seine Freundin würde auch das Erste mal so einen Kurs mitmachen und wäre froh, wenn ich als weitere "Anfängerin" dabei bin. OK - warum also nicht. Und noch schnell Bianca, die Freundin, angerufen, um zu fragen, wie sie sich auf den Kurs vorbereitet hat. Und was sie darüber weiß. Sie kann western reiten. Aha. Doch ein Westernreitkurs? Nein, das nicht. Was wird denn da gemacht? Ja, viel mit Seitengängen und so. Travers. Schulterherein.
    Travers? Das wird in der englischen Reiterei doch erst ganz spät gemacht. Ist unheimlich schwierig! Und überhaupt - die Hilfen kenne ich gar nicht. Das kann ja was werden ... 
    Das war am Donnerstag. Am Freitag habe ich mir noch schnell ein Buch gekauft: Claus Penquitt - Die Freizeitreiterakademie. 
    Viel Zeit zum lesen hatte ich nicht mehr, genau genommen nur mal kurz im Stau drin geblättert. Aber als ich am Samstag früh in Breuna ankam, wußte ich zumindest, daß das Pferd bei "schschsch" langsamer wird und bei "pssst" anhält. Bringe ich Masil auch bei. Ob er das allerdings hört, wenn er im vollen Galopp über's Feld rast? 
    "Mein" Pferd war Jolly - ein western gerittener, bildhübscher Warmblut-Araber-Mix. Leider mindestens 10 cm größer als mein zwergenhafter Masil - auweia. 
    Western geritten. Aha. Reingelegt. Also doch ein Westernreitkurs ... 
    Beim Satteln mußte ich mir helfen lassen. Westernsattel - wie funktioniert denn das? 
    Dann sind wir zum Reitplatz rüber geritten. War schon ein komisches Gefühl. Die Zügel so unglaublich lang und hinten nicht zusammen. Der Sattel so groß, mit dem riesigen Knauf. Das Pferd mit so langen Schritten - ein ganz anderes Gefühl als auf Masil. 
    Auf dem Platz sind dann alle Teilnehmer mit ihren Pferden versammelt gewesen. Wir waren zu siebt: Bianca mit einem Araber-Quarter-Mix, ein Welsh-Cob, eine Andalusier-Stute, ein Vollblutaraber, ein Norweger, ein Connemarapony und "mein" Jolly. Ganz schön bunte Truppe. Auch die Ausrüstung war sehr unterschiedlich. Wassertrensen, Westernbits,  Tellington-Jones-Ausbildungsgebiß - die konnte ich ja noch identifizieren. So einige andere nicht. Die Sättel: Westernsättel, Wanderreitsättel, spanische Sättel, ein Sattel, der ein bißchen nach englischem Sattel aussah - weiß der Geier, wie man an so komische Sättel kommt. 
    Hilfszügel: keine, Reithalfter: wenige. Masils Fotos habe ich schnell versteckt - peinlich, da sieht man das Martingal und den Nasenriemen drauf ... 
    Wir versammelten uns um Hartmut Luther, seines Zeichens "CP-Trainer - autorisierter Trainer der Claus Penquitt-Reitlehre" -was es alles gibt ... 
    Unsere Aufstellung war katastrophal, kreuz und quer in einer Ecke, obwohl wir uns doch in einem Halbkreis in der Ecke aufstellen sollten. Am Sonntag sah das aber schon ganz anders aus: Die Pferde "parkten" sich automatisch korrekt ein. 

    "Wer von euch hat den Kurs schon mal gemacht?" 
    Alle, außer Bianca und ich. 
    "Ich bin Englisch-Reiter", tat ich provokativ kund. 
    "Gut." 
    Gut? - Na gut. 
    Ich war denn doch ziemlich durcheinander. Wie funktioniert denn das jetzt? Western reiten heißt doch erstmal: Zügel lang. Aber dann rennt das Pferd, wohin es will, außerdem hatte Jolly es ziemlich eilig. Und kurz nehmen wie im englischen? Dann hängen diese Meter langen Zügel überall rum. 
    Wie ich die Zügel halten soll, fragte ich also. Uups - die Frage war selbst für meinen Trainer ungewöhnlich, schließlich wird zwar eine bestimmte Reitweise gelehrt, aber in meinem Kurs doch kein Anfänger erwartet. Ich kam mir aber fast wie einer vor. 
    "Ganz normal" war dann auch die Antwort. "Also ich kenne das aus dem Westernreiten mit einer Hand, und die andere Hand dann hier irgendwo" wedelte ich mit der freien Hand in der Luft herum. "Wir arbeiten hier mit den Pferden. Also die Zügel in zwei Hände." erklärte er. Hm. Also doch wie im englischen. War für mich nicht ganz einfach mit den schweren Zügeln, aber im Laufe des Vormittags erfand ich meine eigene Technik, damit zurecht zu kommen - und sie wurde mir auch nicht verboten. In meinem englischen Denken hatte ich das ja befürchtet. 
    Wir fingen an, in der Abteilung große Volten zu Reiten. 
    "Inneren Zügel hoch, äußere Hand tief, Heike!" 
    Hääääh? Was machte ich falsch? Ich hatte brav die Hände über dem Widerrist (gar nicht so einfach mit einem Westernsattel ...) und gab die Zügelhilfen durch leichtes anwinkeln der Handgelenke. 
    Jetzt hieß es erstmal umdenken: Die Zügelführung findet dort statt, wo sie erforderlich ist, nicht da, wo es ordentlich aussieht. Also Hände weg vom Widerrist, Zügel lockerer lassen und dafür ungeniert in die Richtung bewegen, in die sie wirken sollen. Also statt starker Anbindung ans Pferdemaul und feine Hilfen eine lockere Anbindung ans Maul und "gröbere" Hilfen, die ja dadurch nicht mehr als grober Zug im Maul wirken, sondern eher als "ich spür da rechts was, also rechts herum". Eigentlich logisch. Warum habe ich das nie selbst versucht? Ist doch viel einfacher, das Pferd versteht es leichter und ich mag doch eh lieber mit langen Zügeln reiten. Ich habe es nie selbst versucht, weil ich nicht so verlottern wollte und einen klassischen Reitstil beibehalten wollte. Und der englische sagt halt nu mal: Hände überm Widerrist. Andere Reitstile? Kenn ich nicht, weiß ich nicht, bei denen ist das auch so. Oder offensichtlich auch nicht ... 
    "Oberkörper drehen, Heike!" 
    Watt will er jetzt? Soll ich Gymnastik auf dem Pferd machen? Ich saß schön grade, bisserl das Gewicht nach innen verlagern auf der Volte. Etwa nicht? Nein, zumindest nicht so. Ich soll den Oberkörper (aber nicht die Hüfte!) deutlich in die Richtung drehen, in die mein Pferd gehen soll. Dadurch verlagert sich automatisch das Gewicht. Aha. Ja, auch einleuchtend. Wenn mich mein alter Reitlehrer so sehen würde, würde er zwar brüllen "Hampel nicht so auf dem Pferd rum!" - aber mein Pferd versteht's. 
    Puh. Jetzt kam die Hinterhandwendung. Ich war erstmal baff. Hinterhandwendung, bevor wir überhaupt mal die Vorderhandwendung geübt haben? 
    "Die Vorderhandwendung kann jeder", kommentierte Hartmut. Stimmt. Vorne festhalten und hinten rumschieben. Ist wirklich kein Kunststück. Aber die Hinterhandwendung - eigentlich auch kein (so großes ..) Problem, denn man darf ja die Zügelhand vom Widerrist wegführen. Also wird der äußere Zügel angelegt und die innere Hand deutlich mit Zügel zur Seite genommen. 
    Gleichzeitig hält der innere Schenkel das Pferd fest, während der äußere das Pferd vorne herumtreibt. Innen zubbelt's, außen drückt's - Jolly machte eine Hinterhandwendung. Whow! 
    Es folgte Schulterherein ("Wo bleiben denn die Schenkelkweichen?" fragte mein englisch geschultes Hirn - "Zu einfach und ohne wirkliche gymnastiziernde Wirkung" antwortete mein Penquitt-Trainer), Rückwärtsrichten (das Gewicht in Bewegungsrichung, also nach hinten. Auweia. Ich hab's umgekehrt gelernt - nach vorne, Rücken frei machen), dann die Übungen im Jog. Jog? Ich habe erstmal angehalten, weil ich dachte, er hätte Stop gesagt. Was soll Jog auch für eine Gangart sein? Leider eine, die Jolly nicht so gut beherrschte: langsamer Trab. Und auch noch aussitzen. Aber denn war der erste Tag auch schon um. Ein Glück ... aber hat Spaß gemacht! 
    Am nächsten Tag hatte ich meine Mühe, meinen englischen Hintern in den ungewohnten Westernsattel zu hieven - aua, tat das weh! Aber auf Jolly zu sitzen war jetzt nicht mehr ungewohnt, sein Schritt mir nicht mehr zu lang, sein Trab kam mir nicht mehr so hobbelig vor - an dem Vormittag haben wir richtig schön zusammengearbeitet. Und wie das fluppte! Die ganze Truppe, die gestern noch wie ein Haufen Hühner auf dem Platz herumgetorkelt war, machte nun fast flüssig Runde um Runde Schulterherein, lernte spielend Travers und Traversale und joggte fleißig über den Platz. Na, wenn das kein Erfolg war! 
    Nachmittags wurden die Übungen nochmal wiederholt und vertieft, jeder ritt einen kleinen Abschlußparcours - und das wars. 
    Alles in allem zwei unglaublich lehrreiche Tage, viele neue Erfahrungen, viel Spaß, und die Frage - wann ist der nächste Kurs? 
    Und mir brennt es unter den Nägeln, Masil die neue Reitweise beizubringen. 
    Was nehme ich für mich aus dem Kurs mit? 
    Also erst mal, daß ich mich bei meiner Reiterei auch ruhig mal von den ganzen Vorschriften, die ich im englischen gelernt habe, lösen kann und auch mal andere Sachen ausprobiere. Beeindruckt hat mich z. B. die Zügelführung. Obwohl die Zügel (im Verhältnis zum englischen) locker waren, bot das Pferd auf leichtes zupfen ("klingeln" heißt das, habe ich gelernt) von selbst an, den Hals rund zu machen. Und die Versammlung erreiche ich nicht durch ewiges Treiben, Treiben, Treiben, sondern durch Seitengänge, die das Pferd zwingen, unterzutreten. Das ist irgendwie nicht so stupide. Mal meine Meinung. 
    Und was werde ich nun an meiner Ausrüstung ändern? Na ja. Das ist zwiespältig. Ich behaupte ganz ketzerisch, daß die Probleme, die ich bei meinem Pferd durch ein Martingal löse, alternativ in anderen Reitsparten durch Gebisse gelöst werden, die auf das Genick wirken und das Pferd so veranlassen, den Kopf herunterzunehmen. Mit solchen Gebissen ins Gelände zu gehen scheint mir aber für mich und Masil noch zu früh. Also ist die Devise: Auf dem Platz übe ich erst mal ohne Martingal, ich darf ja jetzt auch die Hände runter nehmen, um ihm gegebenenfalls zu zeigen, daß der Kopf nicht in den Himmel gehört. Im Gelände bleibt das Martingal - denn ohne ist es einfach mordsmäßig gefährlich. Der Sperriemen fällt weg. Das wollte ich sowieso ausprobieren. Wenn das klappt, fliegt auch das Reithalfter raus. Dann mache ich den nächsten Schritt zu einem anderen Gebiß, womit ich auch auf das Martingal verzichten kann. Und vielleicht auch erreiche, daß er in schnelleren Gangarten im Gelände nicht mehr pullt. Bleibt noch der Sattel ... war ja schon gemütlich, sich so auf dem Knauf abzustützen, während man Schwätzchen gehalten hat, andererseits brauche ich für diese Reitweise keinen bestimmten Sattel; Hauptsache, er passt. Aber man saß auch viel fester drin, als in meinem Vielseitigkeitsattel - nur der Knauf würde mich beim Galopp im Gelände stören.
    Andererseits ist es vielleicht besser, wenn ich beim Galopp nicht ganz so weit nach vorne gehe, vielleicht bleibt Masil dann ruhiger? *grübel* 
     
    Hat jemand Interesse an einem englischem Marken-Sattel, ein Jahr alt, gut gepflegt? ;-)) 
    Ok. Das war mein Reitkurs. So wie ich ihn als "blutiger Anfänger" gesehen habe. Mag sein, daß ich hier einige Hilfen falsch beschrieben habe - Hartmut, verzeih mir ... aber ich gelobe mich zu bessern ... Wenn mich jetzt jemand fragt: "Wer, zum Teufel, ist Penquitt?", dann sage ich ... ja, was eigentlich? Gar nicht so einfach zu erklären, aber kapiert habe ich es ... :-)
    Natürlich besteht die Penquitt-Reitweise nicht grundsätzlich aus den "groben" Hilfen, die ich hier beschrieben habe. Wie in jeder anderen Reitweise werden die Hilfen mit zunehmendem Ausbildungsstand von Pferd und Reiter feiner. 
     
    Infos zu dem Kurs gibt es irgendwo im Netz. Ich glaube, http://*weißichnicht* oder mit einer Suchmaschine (z. B. fireball) nach "Penquitt" suchen. 
     
    PS: Übrigens - wir haben es gemacht. 

    Und aus Masil, dem angehenden Dressur-Araber, ... 
     

    ... wurde Masil, der Rinderjäger ... :-) 


     
    Copyright © 1998  Heike

    Bei älteren 
Browsern benutzen Sie bitte die 'Zurück'- oder 'Back'-Funktion in der Funktionsleiste des Browsers.