12.05.2000,
Phoenix, Arizona - Skydiving und Mr. Lucky
Irgendwie
schaffte ich es, den Vormittag unproduktiv herumzubringen. Ich reservierte
mein Zimmer für eine weitere Nacht und fragte den Typen am Empfang
nach einer ganz bestimmten Bar in Arizona - mein geplantes Abendentertainment.
Meine Stamm-Autowerkstatt
aus Prescott rief an - vor sechs Wochen hatte ich dort mal gesagt, dass
ich einen Wagen suchen würde - nun hätten sie einen. Zu spät.
Wieder klingelte das Handy
- das war ja schlimmer als in Deutschland. Carrol war dran, sie hatte einen
Anruf verpasst und fragte, ob ich es gewesen sei. Dann erzählte sie
mir, dass sie am Montag um 12.00 Uhr einen deutschen Gast in Wickenburg
am McDonalds treffen würde - wenn ich also auch Lust hätte, zu
kommen ...?
Klar hatte ich, wollte aber
vorher noch anrufen, um sicher zu sein, dass bis dahin alles mit meinem
Pick up glatt gelaufen war.
Dann wurde es allmählich
mal Zeit, aufzubrechen. Ziel: Buckeye Airport. Unterwegs stärkte ich
Magen und Nerven mit einem Vanilleshake und zwei Apfeltaschen bei McDonalds,
kurz vor eins traf ich, wie verabredet, ein.
Ready for Skydiving!
Ich hatte einen Tandemsprung
aus 10.500 feet (ca. 3,5 km) Höhe mit ca. 30 Sekunden freiem Fall
gebucht. Nur Spinner zahlen dafür, sich aus einem Flugzeug zu stürzen
...
 
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Der
erste Eindruck bestand aus einer gammeligen Halle inmitten eines staubigen
Steppengeländes. Der zweite war ein Blick in die Halle, wo Dwight,
mein Instructor, gerade einen Fallschirm zusammenlegte. Er fand alles "cool".
"You're from Germany? Cool!"
"You make vacation? Cool!"
"You have no more questions?
Cool!"
Ich bekam einen sechsseitigen
Vertrag, den ich zwei mal unterschreiben musste, zusätzlich mussten
'zig Punkte einzeln mit Initialien akzeptiert werden.
Am besten waren die ersten
Sätze: "Wir garantieren NICHT, dass
- der Fallschirm aufgeht,
- der Instructor keine Fehler
macht,
- Sie unverletzt bleiben,
- alle Gurte halten,
- Sie überleben etc."
Wirklich - so stands geschrieben!
Ausserdem unterschrieb ich, dass ich ein Testspringer wäre, die Fallschirme
waren nämlich nicht von der FAA (amerikanische Flugsicherung) freigegeben,
sondern nur zum Zwecke der Erprobung gedacht. *auweia*
Bei all dem dachte ich daran,
dass es sich ja um einen Tandemsprung handelte - wenn mir etwas passierte,
dann meinem Instuctor Dwight mit Sicherheit auch, und der würde schon
auf sich aufpassen.
Ich bezahlte mit Kreditkarte
(so fortschrittlich waren sie immerhin schon), dann begann die zwanzigminütige
Einweisung.
Als
erstes der Absprung selbst. Wir gingen zu einer kleinen Box am Ende der
Halle - das Flugzeug.
"A really cute small plane
...", witzelte ich. Bis ich kapierte, dass die Kabine des Fliegers, den
wir benutzen würden, tatsächlich nicht größer war.
Dwight hockte sich hinein
und erklärte, wie ich während des Fluges sitzen sollte und wie
er bei ca. 10.000 feet Höhe beginnen würde, meine Ausrüstung
zu schecken. Dann müßte ich mich umdrehen und auf die Knie hocken,
damit er mich an seinem Fallschirm befestigen konnte. Ich würde ihm
sozusagen auf den Bauch geschnallt werden, so dass ich unter ihm den ganzen
Wind vom freien Fall abbekam.
Bei 10.500 feet würde
die Tür direkt neben mir geöffnet, ich sollte mit den Händen
den Holm packen und mein rechtes Bein raus strecken und auf einen kleinen
Abtritt stellen. Dann sollte ich meine Hände an die Gurte in Brusthöhe
nehmen, mich herausbeugen und er würde mir einen Schubs geben - hops.
Er demonstrierte einen kleinen
Sprung aus der winzigen Box und ich fragte: "Did I already pay?" - irgendwie
fand ich die Idee mit dem Fallschirmsprung nun doch nicht mehr so gut.
Ich musste dann auch einmal
üben - Sitzposition, umdrehen und auf die Knie gehen, Tür öffnet
sich, am Holm festhalten und Bein rausstrecken (bei ca. 130 km/h) und aufsetzen,
Brustgurte packen, herauslehnen, jump.
Dann wurde die Fallposition
auf einem Tisch erklärt. Ich durfte nicht einfach relaxen, sondern
musste meine Beine nach oben hin anwinkeln ("Kick me in the ass", war eine
bildliche Erklärung, die ich verstand) und durfte meine Arme erst
ausbreiten, wenn er mir ein Zeichen dazu gab. Das Anwinkeln der Beine sei
das wichtigste, erklärte mir Dwight, sonst hätte er echte Schwierigkeiten.
Hoffentlich vergaß ich das nicht ...
Dann die Landung. Ich sollte
bloß nichts machen, sondern nur meine Beine hochhalten, damit ich
sie mir nicht brach. Okay, da wüde ich mich schon dran halten. Ausserdem
hatte ich schon mal einen Paraglidinggrundkurs mitgemacht, dort hatte ich
mitgekriegt, dass die Landung mit dieser Art Fallschirm relativ sanft ist.
Let's go!
Ich fragte nach dem Piloten
- es war eine junge Frau, die hinter dem Counter stand. Ha, eine Pilotin!
Cool!
Dwight legte mir mein Geschirr
an, es wurde verdammt eng und unbequem, dann gingen wir zu dem Flugzeug.
Zu dem Fluggerät. Wahrscheinlich noch aus der Zeit von Hindenburg
und Co und jetzt zum Zwecke der Touristenfliegerei restauriert.
Die Pilotin setzte sich
auf den einzigen vorhanden Sitz, ich hockte mich mit dem Rücken in
Flugrichtung neben sie, Dwight mir gegenüber. Viel mehr Platz war
in der Maschine nicht, mit der Hand konnte ich problemlos die Decke berühren.
Sie startete die Maschine.
"Hui ..... hui ... hu." Hörte sich an wie mein Pick up am ersten Tag
...
"Hui ... hui ... wrumm."
Wir fuhren rumpelnd zur
Startbahn, unterwegs klopfte die Pilotin an allen mglichen Stellen herum
- der Flieger war wohl tatsächlich wie ein Chevy Truck - ohne Tricks
lief nichts. Immer wieder führte ich mir vor Augen, dass ich weder
alleine in der Maschine saß noch alleine Abspringen würde -
und Dwight hatte es bisher überlebt. Kurz vor Start gab es noch Probleme
mit dem Funkempfang, es dauerte fast zehn Minuten, bis Dwight herausgefunden
hatte, dass es an einem Wackelkontakt von einem Kabel am Kopfhörer
der Pilotin lag. Sie sollte halt ein bisserl dran zippeln, wenn sie es
bräuchte. Na ja, solange es nur der Funk war ...
Die kleine Kiste war bereit
für den Start. Wankend und schaukelnd begaben wir uns auf den zwanzigminütigen
Flug in 10.500 feet Höhe. Als Dwight begann, sich für den Sprung
fertig zu machen, setzte ich mir auch meine Plastikschutzbrille auf (von
der ich abends noch die Abdrücke auf der Stirn hatte). Helm oder gar
Springeroverall gab es nicht, wir flogen mit Jeans und Sweatshirts. Dwight
checkte mein Geschirr, dann sollte ich mich umdrehen und auf die Knie hocken.
Es wurde ernst ...
Er befestigte seinen Schirm
an vier Stellen mit dicken Karabinerhaken an meiner Ausrüstung und
zog alle Strippen nochmal so weit nach, dass ich fast keine Luft mehr bekam.
Wie ein fest zusammengeschnürtes Paket klebte ich mit meinem Rücken
an seinem Bauch.
"Ready?"
"Ready!" antwortete ich
und er öffnete die kleine Tür.
"Remember what to do?" fragte
er und ich griff nach dem Holm, schwang mein rechtes Bein heraus und stellte
es auf die kleine Trittfläche.
Ich rutschte mit dem linken
Knie näher zur Tür und beugte mich heraus.
Sch...., war das tief!
"Grap your belt!" forderte
Dwight mich auf, ich klammerte immer noch an dem Holm.
Ich ließ also den
Türholm los und griff nach meinen Brustgurten, und Dwight begann mich
zu schubsen, während ich kräftig zurückschubste - der wollte
doch wohl nicht im ernst, dass ich DA raussprang???
Er war stärker als
ich und wir fielen kopfüber aus dem Flieger, machten einen Salto und
Dwight stubste mich an den Oberschenkeln an - Beine anwinkeln und hochnehmen,
hieß das!
Nun war die Erde und nicht
mehr der Himmel unter uns, und ich war wieder soweit klar, dass ich bewußt
auf Dwights Zeichen warten konnte, die Arme ausstrecken zu dürfen.
Es kam, nachdem ich brav meine Beine angewinkelt und die Hüften durchgedrückt
hatte
Whow!
Tja, der freie Fall war kurz, zu kurz, um bei einem ersten Absprung, bei
dem man wohl mehr daran denkt, ob alles richtig läuft, das richtige
Feeling aufbauen zu können. Es war schon irre, aber nicht frei wie
ein Vogel. Viel zu schnell (nach ca. 30 Sekunden, immerhin waren wir da
schon nur noch auf 4000 feet) öffnete Dwight den Schirm. Ab dann ging
es im Schwebeflug langsam 'gen Erde zurück. Ich durfte mal die Strippen
halten, mit denen sich die Parachutes lenken lassen - Kurven fliegen mit
dem Teil war das beste Gefühl. Bis zu zehn Meilen weit könnte
man bei gutem Wind damit fliegen, erzählte mir Dwight, der aber jetzt
den Zielflug zum Hangar anstrebte.
Kurz vor der Landung sollte
ich meine Beine nach vorne hochnehmen, Dwight setzte auf und forderte mich
auf, ebenfalls zu stehen, ich ging leicht in die Knie, aber alles in allem
war das Aufsetzen sanfter als bei einem Sprung von einem Tisch, dann zog
Dwight mich ein paar Schritte zurück, weil der Schirm nach hinten
zog - fertig. Datt wars - erfolgreich gelandet. Cool!
Nachdem wir die Ausrüstung
im Hangar losgeworden waren, bekam ich noch ein unglaublich wichtig aussehendes
Zertifikat, das bestätigte, dass ich meinen ersten Tandemsprung überlebt
hatte.
Fazit: war irre, ich würde
auch gerne ein zweites mal springen, aber dafür war es mir denn doch
zu teuer. Und als wirklich doll empfand ich eigentlich nur den freien Fall,
das nachfolgende Schweben war zwar schön, hatte aber nicht den Kick
(ich liebe halt nun mal Geschwindigkeit).
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Es war
erst kurz nach zwei, als ich das Flugplatzgelände verließ. Ich
war westlich von Phoenix, und auf dem Weg zurück lag das Dorf, in
dem Carrol und Roy Williams wohnten, wenn sie nicht auf ihrer Ranch in
Wickenburg waren (zur Erinnerung: die Ranch barchte nicht genug ein, weswegen
Roy über die Woche in Phoenix arbeitete). Ich beschloß also,
auf eine kurzes "Hallo" dort vorbeizufahren.
Wie immer kamen Carrol und
ich wieder ins quatschen und gegen halb vier kam auch Roy von der Arbeit
zurück.
Ich verabredete mit Carrol,
dass ich am Monatg Mittag auf jeden Fall auch beim McDonalds in Wickenburg
stehen würde und dass sie, falls sie schon Sonntag abend zur Ranch
fuhr, nicht extra nach Wickenburg reinkommen müsste, ich würde
den Gast zur Ranch eskortieren.
Charlie Parker, der Gast,
den ich bei meinem letzten Aufenthalt auf der Ranch "betreut" hatte, hatte
Carrol gesagt, dass er sofort wiederkommen würde, wenn ich auch da
sei. Normalerweise kam er nur von Februar bis April, aber unsere stundenlangen
Ausritte hatten ihm wohl soviel Spaß gemacht, dass er mal eine Ausnahme
machen würde. Carrol fragte mich, ob sie ihn anrufen dürfe, um
ihm zu sagen, dass ich da sei (immerhin ist er ein gut zahlender Gast),
und ich nickte - mal schaun, was daraus wurde.
Um hier, wie so oft, mal
wieder irgendwelchen Spekulationen vorzugreifen: Charlie und mich verbindet
tatsächlich nur die Feude an endlosen Ausritten. Auch wenn Roy immer
versucht, uns zu verkuppeln (was absolut chancenlos ist).
Schließlich brach
ich wieder auf, Roy hatte mir die Adresse von einem Reifenhändler
gegebn, der gebrauchte Reifen verkaufte. Meine Pick up könnte mindestens
zwei brauchen, aber neu würden sie das Stück über zweihundert
Mark kosten.
Wie es der Zufall so wollte
lag der Reifenhändler genau neben dem McDonalds, bei dem ich mich
vor dem Absprung gestärkt hatte. Es gab dann zwar keine gebrauchten
Reifen (die Reifengröße war zu exotisch), aber einen Vanilleshake. |
Gegen halb
zehn brach ich von meinem Motel aus auf zu meinem Abendentertainment. Ich
hatte vor Monaten mal in Phoenix eine Art Country-Western-Dancebar besucht,
die draussen einen Korral hatte, in dem sich die besoffenen Möchte-gern-Cowboys
im Bullriding versuchen konnten. Ich erinnerte mich nicht mehr an den Namen
der Bar, aber der Empfang vom Motel schickte mich zum "Midnight Rodeo".
Das sah dann von aussen
ganz und gar nicht nach Country-Western aus, ich fragte auf dem Parkplatz
zwei Mädels: "Can you tell me what's going on in there?"
"Not much", meinten sie
fast im Chor. Ich fragte sie nach einer Bar mit Bullriding, und sie schickten
mich zu "Mr. Luckys" ein paar Blocks weiter.
Dort war
ich dann endlich richtig, draussen der Korral mit den Bullen, der riesige
Parkplatz - und ein Türsteher, der mich nicht reinlassen wollte, weil
ich keinen Ausweis dabei hatte.
"Come on - do I really look
that young? Look at all that wrinkels!" versuchte ich ihn zu überreden
und zeigte auf meine Augen.
"What's your birthday?"
fragte er.
"Hey - I'm too old to tell
you my birthday!" weigerte ich mich, inzwischen hatten sich ein paar andere
Gäste angesammelt, die neugierig lauschten.
"67", schlug ein Typ vor.
"You're not polite!" beschwerte
ich mich, wurde aber schließlich auch ohne Ausweis hereingelassen.
Drinnen tranken cowboybehütete
Männer und auftoupierte Frauen Budweiser aus Flaschen, eine Live-Band
spielte Countrymusik.

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Es wurde
getanzt, allerdings ausschließlich zu zweit, weswegen ich mich darauf
beschränkte, an einem Pfosten zu lehnen und mitzuswingen. Nach einer
halben Stunde wurde zum Bullriding gerufen, es gab drei Durchgänge
mit je drei bis vier Reitern. Dies war die zweite Runde, in der sich nur
einer der vier Kandidaten qualifizierte, indem er es acht Sekunden lang
auf dem bockenden Bullen aushielt.

 

Der letzte
Durchgang fand gegen halb zwölf statt, zwischendurch gab es die wirklich
nette Live-Musik. Nachdem ich mich mit meinem Fotoapparat als Touri geoutet
hatte fuhr ich mit nur einem Zwischenstopp bei Jack in the Box zurück
zum Motel.
Dort bekam ich nachts noch American Action Entertainment live geboten.
An der nächsten Ecke fielen Schüsse oder sowas, auf jeden Fall war es verdammt laut.
Dann kam ein Polizeihubschrauber, der die Gegend um den riesigen Hotelkomplex (dieses Motel 6
bestand aus fünf einzelnen Gebäuden mit jeweils ca. vierzig bis achtzig Zimmern, es war das größte
Motel 6, das ich bisher gesehen hatte) herum mit Scheinwerfern absuchte, wie in diesen
amerikanischen Krimis. Kurz darauf trafen sechs oder sieben Streifenwagen ein, die an der Ecke
eine Straßensperre aufbauten und jedes durchfahrende Auto überprüften. Es war faszinierend zu
beobachten, wieviele Wagen aufeinmal auf den Parkplatz meines Motels fuhren, das die letzte
Ausfahrt vor der Straßensperre war. Als es so nach und nach voller wurde, verkrümelte ich mich
lieber zurück in mein Zimmer und hoffte, dass die Bullen nicht auf die Idee kämen, eine
Hoteldurchsuchung anzuordnen.
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